Ein Künstler, der eine Aussage formuliert, wird ebenso, wie er die für ihn besonders wichtigen Wirklichkeitsebenen, als Aussageebene wieder ins Bild bringt, auch die Wahrnehmungstendenzen, als das 'wie' er etwas wahrnimmt, in dem entsprechenden Mischungsverhältnis wieder darstellen wollen.
Diese Umformung der Wahrnehmungstendenzen in Gestaltung oder "Formulierung" nenne ich im Zusammenhang der Zeichenkritischen Theorie Darstellungstendenzen.
Die Problematik dieser Perspektive ist eine doppelte: In einem Gespräch möchte man verstehen, was der andere sagen will. Allerdings hat man dazu nur die Sprachform vor sich. Man kann also nur auf Grund des materiellen Bestandes, also der Formulierung des Kanals (z.B. ein Ölbild) auf das schließen, was der andere wahrscheinlich sagen will. Jeder kennt die Schwierigkeit, die man selbst hat, wenn man etwas zum Ausdruck bringen will und die Worte dafür nicht finden kann. Es ist also nicht gesagt, dass das, was in Form einer materialisierten Formulierung "rüberkommt", das ist, was der Sender auch tatsächlich sagen wollte.
Allerdings kann man bei einem professionellen Künstler davon ausgehen, dass er soviel Erfahrung hat, dass das, was er dann tatsächlich formuliert, auch das ist, was er sagen möchte. Dann bleibt immer noch die Schwierigkeit, dass noch der Rezipient dieses verstehen muss, er also mit seiner eigenen Rezeptionsintention die Aussage, die Formulierung des Senders wieder übersetzen muss in seine eigene Vorstellungswelt. Auch hierbei ist der Erfolg dieser Übersetzung überhaupt nicht gewährleistet.
Beim Verstehen einer Äußerung kann man sich somit auf kaum etwas anderes wirklich verlassen als auf seine Einfühlung, seine Intuition. Man muss den anderen verstehen wollen, damit die Verständigung klappt. Dies geschieht tagtäglich - gottseidank - in ganz vielen Gesprächen, bis eben auf jene, wo es nicht klappt.
In einer direkten Kommunikation hat man zudem den Vorteil, dass man etwas korrigieren kann, wenn der andere es nicht versteht. "So habe ich es nicht gemeint" ist dann die hierher gehörende Äußerung. Bei einer indirekten Kommunikation, z.B. eben beim Bild, ist dies schwieriger. Der Autor kann nicht intervenieren, wenn etwas falsch verstanden wird. Dann muss sich der Rezipient wieder auf seine unzuverlässige Einfühlung verlassen, oder er braucht Dolmetscher, Interpreten, "Schriftgelehrte", die klären, wie eine Aussage gemeint sein soll. Diese Experten sind dann unantastbar, ihre Meinung ist die richtige, es sind die Gewährsleute.
Man kann der Bevormundung durch Experten dadurch entgehen, dass man selbst sich eine gewisse Kenntnis aneignet, wie man eine Aussage auf Grund des tatsächlichen Bestandes an Gestaltung, an Formulierung interpretieren kann. Dies versuche ich mit Hilfe der Zeichenkritischen Theorie zu ermöglichen.
Wenn man dem Gedanken folgen mag, dass ein Künstler seine Wahrnehmungsintention in die Form einer Aussageintention verwandelt, die eben auch aus den Mischungsverhältnissen von Aussagemodi und Darstellungsweisen (als der Zusammenführung verschiedener Darstellungstendenzen) besteht, dann liegt es nahe, die Darstellungstendenzen genauso zu unterteilen, wie die Wahrnehmungstendenzen.
Wir unterscheiden somit die ästhetische Darstellungstendenz, die gestische usw.
Wie man sich das vorzustellen hat, soll der folgende Text klären. Vorher muss aber noch das Phänomen untersucht werden, dass die Darstellungstendenz noch nicht unmittelbar in Erscheinung tritt. das was ein Künstler intendiert darzustellen ist noch nicht materialisiert.
Bei der Beschreibung der Semiotik (Lektion 3) wurde von den Zeichenarten gesprochen. Dies hat den weiteren Gedankengang stark beeinflusst.
Die Semiotik unterscheidet verschiedene Zeichenarten, die auf Grund ihrer Struktur genau benennbar sind. Es werden dort die symbolischen, die indexalischen und die ikonischen Zeichen unterschieden. Diese Unterscheidung war im Wesentlichen auch der Ausgangspunkt für die Entwicklung der zeichenkritischen Theorie, es gab die Notwendigkeit, weitere Zeichenarten und dann Zeichenaspekte zu unterscheiden. So ist es im Laufe von mehreren Zwischenstadien zu den acht Zeichenaspekten gekommen, die auch jetzt hier vorgestellt werden.
Von der Idee der Zeichenaspekte her war es logisch, eine Analogie zu entwerfen, die davon ausgeht, dass Mischungsverhältnisse bei den Zeichenaspekten einem Mischungsverhältnis bei der Wahrnehmung entsprechen muss und dass dieses sich wieder bei der Intention, etwas darstellen zu wollen, äußern muss.
Es kam also zu folgender Reihe: An erster Stelle steht die Wahrnehmung (Wahrnehmungsintention), diese will sich in einem kommunikativen Zusammenhang darstellen (Aussageintention), und muss dieses dann in einer bestimmten, materialisierten, bzw. medialisierten Weise tun, in Form der Zeichenaspekte. Die Zeichenaspekte repräsentieren also die materialisierte Form der Darstellungstendenzen. das, was man aussagen will als Künstler, muss übersetzt werden in ein "wie" der Formulierung. Dieses "wie" findet seine materielle Anschaulichkeit in den Zeichenaspekten und diese sind dann wieder dafür verantwortlich, dass der Rezipient auch das versteht, was "der Künstler uns sagen will"... (mit den immer gleichen Vorbehalten...)
Die ästhetische Darstellungstendenz
Die ästhetische Darstellungstendenz entspricht der ästhetischen Wahrnehmungstendenz. Bei der Darstellung ist dann die Darstellung selbst den Regeln des ästhetischen unterworfen. Die Darstellung selbst soll dann entsprechend reizvoll sein, man soll Lust haben hinzuschauen.
Wenn diese Darstellungstendenz im Vordergrund steht, wird das Bild als ein Außenimpuls von besonderer sinnlicher Wirkung in Erscheinung treten. Im Kontext der alltäglichen Außenimpulse soll es als etwas überaus Beachtenswertes und „Attraktives" ins Auge fallen.
Unter diesem Aspekt ist das Bild als Gegenstand zu aller erst etwas für die sinnliche Wahrnehmung Bemerkenswertes. Das Bild vermittelt durch seine materialisierten Eigenschaften den ästhetischen Impuls. Man sieht „interessante" Kontrastwirkungen in allen möglichen Ausprägungen, ohne dass diese allzu aufdringlich oder gar suggestiv wirken würden. Die Oberflächenbeschaffenheit, die Reflexion und Brechung des Lichtes, die Anmut und Leichtigkeit von Linien, interessante Rhythmen und Proportionen, etc. sind weitere entscheidende Faktoren für den „ästhetischen Zeichenaspekt". (Abkürzung: 'ästh. ZA', wobei "ästhetisch" wie überall in der Zeichenkritischen Theorie im Sinne der ursprünglichen Wortbedeutung: "Wahrnehmung" benutzt wird.)
Von der Rezeptionstendenz her erleben wir das Bild als "schön" im primären Sinne , es zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich, ohne eine besondere Faszination, oder eine spürbare Beunruhigung zu signalisieren. Es ist eine Augenweide, ein sinnlicher Genuss, der auch nur dann seine volle Wirkung entfaltet, wenn man das Bild tatsächlich sieht.
In der Kunstgeschichte hat diese Darstellungstendenz wichtige Vertreter z.B. im Impressionismus und in der Op-Art gefunden.
Die gestische Darstellungstendenz
Die gestische Darstellungstendenz entspricht der gestischen Wahrnehmungstendenz. Bei der Darstellung ist dann die Darstellung selbst den Regeln des Gestischen unterworfen. Die Darstellung selbst soll dann entsprechend von Aktionsspuren durchzogen sein, man soll den malerischen Prozess nachvollziehen können. (Man kennt die Neugier, mit der man wissen will "wie" ein Bild gemacht ist.)
Wenn diese Darstellungstendenz im Vordergrund steht, wird das Bild als ein Außenimpuls von besonders aktionsbetonter Wirkung in Erscheinung treten.
Unter diesem Aspekt ist das Bild als Gegenstand zu aller erst etwas für die körperlich-motorisch-sinnliche Wahrnehmung Bemerkenswertes. Das Bild vermittelt durch seine materialisierten Eigenschaften den gestischen Impuls, den wir auch erleben, wenn wir z.B. uns mit in die Kurve legen, wenn im Kino eine wilde Verfolgungsjagd stattfindet.
Auf dem Bild sieht man als gestischen Zeichenaspekt die Spur des Malens, die Pinselstriche sind erkennbar, man kann die Schichtung der Farben ablesen, die "Werkspur" bestimmt das Bild. Damit hat man in ganz direkter Weise Kontakt zum Schaffen des Künstlers, er lässt sich sozusagen über die Schulter schauen. In diesem "Dunstkreis" des Künstlers erlebt man eine enge Beziehung zu dem Werk, die Einmaligkeit dieses Bildes erscheint besonders deutlich und ist durch keine Reproduktion zu ersetzen. Wir haben es hier dann auch mit dem zu tun, was in der Kunst als die "Aura" eines Kunstwerkes bezeichnet wird.
Ist die Spur verwischt, hat man keinen Kontakt mehr zum Entstehungsprozess des Bildes, dann erscheint es "entrückter", es erscheint absoluter, und gleichzeitig wird der Blick auf andere Darstellungstendenzen gelenkt.
Wichtige Vertreter dieser Darstellungstendenz findet man im Informell, im abstrakten Expressionismus, auch Happening und Fluxus leben von dieser gestisch betonten Darstellungsweise. Natürlich kommt dies auch bei älteren Künstlern vor, ganz besonders faszinierend sind die Farbschichtungen, die Rembrandt bei seinem Spätwerk in virtuoser Weise "hinfetzt".
Die tiefensymbolische Darstellungstendenz
Die tiefensymbolische Darstellungstendenz entspricht der tiefensymbolischen Wahrnehmungstendenz. Bei der Darstellung ist dann die Darstellung selbst den Regeln des Tiefensymbolischen unterworfen. Bei der tiefensymbolischen Wahrnehmung ging es um das Phänomen der sozio-parentalen Kommentierung als einer Form der Primärerfahrung. Diese konnte sich noch nicht als ein in sich identisches Ikon abbilden, da zum einen noch kein Vokabular existierte, mit welchem man das Ereignis fassen konnte, zum anderen weil es völlig unbekannt war (eben 'Primärerfahrung'), und drittens, weil es undifferenziert vom Grund als Gesamterfahrung erlebt wurde. Ein Ergebnis dieser Form von Wahrnehmung ist ein diffuses Empfinden, vielleicht ein Gefühl, eine Stimmung, eine psychische, unfassbare Schwingung. Solche Ereignisse tatsächlich - zumindest in der Analogie - bewusst zu machen dauert beim Psychiater manchmal Jahre... Man ist als Mensch häufig von diesen Schwingungen bewegt, sie beschäftigen einen latent und manchmal auch sehr heftig. Die Bildsprache ist auf Grund der Tatsache, dass sie analog der frühkindliche Erfahrung immer situative Felder zur Anschauung bringt und auf eine weit hinter die Sprachentwicklung zurückreichende Erinnerungsfähigkeit zurückgreifen kann, für tiefensymbolische Darstellungen besonders "geeignet".
Die Darstellung selbst soll dann entsprechend von einer Wirksamkeit durchzogen sein, die einen packt, einen in ihren Bann zieht, einen "nicht mehr loslässt". Es soll beunruhigen (Krimi, Science-Fiction), es soll rühren (der Liebesfilm), es soll schlicht spannend sein. Auch positive Wirkungen können intendiert sein wie Ergriffenheit, tiefe Freude.
Wenn diese Darstellungstendenz im Vordergrund steht, wird das Bild als ein Außenimpuls von besonders tiefgehender Wirkung in Erscheinung treten.
Unter diesem Aspekt ist das Bild als Gegenstand zu aller erst etwas für die seelisch-psychische Wahrnehmung Bemerkenswertes. Den Zeichenaspekt mit Worten zu beschreiben ist schwierig, da er eine ganz direkte Form der emotionalen Verbindung zum Ausdruck bringt, die sich in der Regel kaum erklären lässt. Das Bild zieht uns in seinen Bann, „fasziniert" und „begeistert" uns. Es kann so stark sein, dass es uns „nicht mehr loslässt". Er vermittelt sich materiell insbesondere durch den Ausdruckswert der Farbe, und hierbei auch besonders in den psychologischen Farbwirkungen, durch bestimmte bildnerische Variable, wie Größe, Dimension, Dichte, intensive (Farb-)Kontraste (Kontraste dann, wenn sie durch ihre Dramatik, ihre Suggestivkraft in Erscheinung treten. Eben anders als beim ästhetischen Zeichenaspekt, der insgesamt "harmloser" ist), aber auch durch Duktus und absolute Größe. Dazu wird der tiefensymbolische Zeichenaspekt in seiner Wirkung häufig durch ikonische Merkmale unterstützt, obwohl dieser Zeichenaspekt primär noch "ungegenständlich" ist, d.h. an kein Motiv gebunden.
Die tiefensymbolische Darstellungstendenz wird in der Rezeption darin sichtbar, wie das Bild den Betrachter "rührt" und "ergreift". Man spürt eine unbestimmte Verwandtschaft mit dem Autor des Bildes, will durch den Besitz oder die Beschäftigung Anteil haben an dessen Sicht der Wirklichkeit, oder verwendet das Bild als Affirmation für die eigenen unbestimmten (aber um so bestimmenderen) Weltsichten. Vielleicht ist diese Ebene mit die entscheidende, weshalb wir uns länger oder intensiver mit dem Bild überhaupt auseinandersetzen, es möglicherweise besitzen wollen.
Die ikonische Darstellungstendenz
Die ikonische Darstellungstendenz entspricht der ikonischen Wahrnehmungstendenz. Die Darstellung ist den Regeln des Ikonischen unterworfen. Der Bilderproduzent nimmt die Wiedererkennbarkeit der Wirklichkeit wahr, und bildet diese ab. Man soll Formen, Zusammenhänge und Proportionen wiedererkennen können. Das Bild soll als eine ikonische Repräsentation der Außenwelt in Erscheinung treten.
Der ikonische Zeichenaspekt repräsentiert die „bekannteste" Form ein Bild zu erleben. Dabei geht es um das Wiedererkennen von Zusammenhängen des motivlich Abgebildeten, mit der eigenen Realitäts- und Wirklichkeitserfahrung.
Als Zeichenaspekt materiell sichtbar wird der ikonische Zeichenaspekt durch eine Syntax, die die bildnerischen Elemente gemäß struktureller Übereinstimmungen mit solchen Ikonen ordnet. Dafür stehen Umriss, Figur-Grund, auch Linie und Proportion.
Die Ikonizität, die "Abbildung", findet allerdings nicht zwischen O'' und O statt, also zwischen der bildnerischen Form und der Realität, sondern zwischen O''/O''' und O' (Die Form soll etwas repräsentieren, der Rezipient wird in seiner Erinnerung das Entsprechende wachrufen). Dies muss sehr deutlich unterschieden werden, dass man nicht dem verbreiteten Irrtum unterliegt, ein Bild könne die Realität irgendwie "wirklichkeitsgetreu" abbilden. Ikonizität ist über den Prozess des Erlernens von Icons (siehe Lektion 8 Wahrnehmungstendenzen) eine symbolische Objektbeziehung.
Bei der Betrachtung der ikonischen Darstellungstendenz muss man noch zwei Begriffe einführen: die Abstraktion bzw. den Abstraktionsgrad und den Ikonizitätsgrad.
Man kann in einem Bild den Gegenstand immer nur "mehr oder weniger genau" erfassen. Der Gegenstand ist ein Element in einem unendlichen Kontext, mit Eigenschaften, die uns teils bekannt oder unbekannt, wichtig oder unwichtig erscheinen. Entsprechend wird der Bildermacher vorgehen: das ihm am Gegenstand wichtig Erscheinende wird er darstellen, das andere weglassen. Je mehr wahrnehmbare Elemente die Abbildung aufweist, umso höher ist der Ikonizitätsgrad, entsprechend bei weniger Elementen der Abstraktionsgrad. Eine Strichzeichnung hat einen geringen Ikonizitätsgrad (oder einen höheren Abstraktionsgrad) gegenüber einem schwarz-weiß Foto. Dieses ist mehr abstrahiert als ein Farbfoto, dieses hat wieder gegenüber einem farbigen Video einen geringeren Ikonizitätsgrad usw.
Eine Abstraktion ist immer eine Funktion des Ikonischen: Es geht darum, das Unwesentlich Erscheinende wegzulassen bis zu dem Moment, wo die Reduktion soweit getrieben ist, dass nur noch das für den Gegenstand Unerlässliche, bzw. Wesentliche dargestellt ist. Immer ist aber der Gegenstand selbst noch gemeint, man schält sozusagen den wahren Kern des Gegenstandes heraus, holt ihn ans Licht.
(Der Unterschied zwischen Abstraktion, dem Abstrakten und dem Ungegenständlichen wird im Feld Zeichenkritische Theorie ABSTRAKT ausführlich dargestellt.)
Die individualsymbolische Darstellungstendenz
Die individualsymbolische Wahrnehmung von Wirklichkeit findet ihren Ausdruck in der individualsymbolischen Darstellungstendenz. Allerdings ist hier der Begriff "-tendenz" schon fragwürdig, wenn man darunter eine bewusste Absicht versteht. Die Individualsymbolik ist so umfassend, dass in jedem Fall diese Ebene einen zentralen Charakter hat.
Der individualsymbolische Zeichenaspekt hat es in sich. Vom Autor aus sind es die ganz persönlichen und oft kaum dechiffrierbaren Eigenheiten, die den ganz charakteristischen Ausdruck des jeweiligen Künstlers ausmachen. Man kann dies unter den Begriffen "persönlicher Stil", Authentizität, das "Echte" fassen, aber auch als das nur den Eingeweihten Erfahrbare, insbesondere in der Bedeutungsstruktur der jeweiligen Bildgegenstände und syntaktischen Besonderheiten.
Die Biografie des Künstlers, seine ganz persönliche Weltsicht ist Matrix für die individualsymbolische Umsetzung in sein Zeichensystem. Als erfahrbarer Zeichenaspekt äußert sich diese Eigenart in den Abweichungen, die der Betrachter gegenüber seiner ihm bekannten Wahrnehmung von dargestellten Inhalten feststellt.
Es lassen sich Unterschiede zu ikonischen Abbildungen feststellen, die darauf hinweisen, dass zwischen dem O' des Produzenten und dem O' des Rezipienten Unterschiede bestehen. Es lassen sich aber auch Unterschiede zu sprachsymbolischen Formulierungen erkennen, die den Betrachter auf den individuellen Umgang mit sprachlichen Codes verweist. Aus all dem ergibt sich dann der sog. "persönliche Stil" eines Malers, die Unverwechselbarkeit der individuellen Äußerungen und Wahrnehmungsperspektiven, von denen gerade die Sprache der bildenden Kunst so ungemein reich ist.
Da dieser Zeichenaspekt jedoch differenziertes Wissen um die Eigenheiten des betreffenden Autors voraussetzt, ist die bewusste Wahrnehmung dieses Zeichenaspektes im Sinne des Autors eine Sache von "Kennern". Die sog. "Laien", aber sicherlich auch in großem Maße die "Fachleute", müssen da, wo diese Kenntnisse aus welchen Gründen auch immer nicht vorhanden sind, ihre eigene Individualsymbolik (als Rezeptionstendenz) auf die Rezeption dieses Werkes projizieren. Wissenslücken verleiten zur Spekulation, zur individuellen Anfärbung und "Interpretation" des Werkes. Vermutungen können da geäußert werden, der "Geschmack" kommt hier zur Geltung, und oftmals entscheidet die ganz persönliche Individualsymbolik von Kunstbewertern über die berufliche Zukunft eines Malers oder eben auch anderer Medienproduzenten.
Sind diese dem Künstler wohlgesonnen, dann ist dies die Eintrittskarte dafür, dass das individuelle Vokabular und die individuelle Wahrnehmungstendenz des Autors als bildnerisches Vorbild sich verallgemeinern darf. Der jeweilige Autor wird dann z.B. Professor, oder er wird belohnt mit einen guten Marktwert, der wiederum andere Künstler dazu veranlasst, es ihm "ähnlich" tun zu wollen. Und - schwups - entsteht das, was man als das "Sprachsymbolische" bezeichnen kann.
Die sprachsymbolische Darstellungstendenz
Wenn ein Bild vom der "sprachsymbolischen Darstellungstendenz" bestimmt wird, verweisen die bildnerischen Merkmale auf den historisch-zeitgeschichtlichen "Sprachcode". Dieser kann sich ebenso auf das „Motiv" wie auch auf die „Technik" beziehen. „In altmeisterlicher Manier" ist dabei ebenso ein Indiz für Sprachsymbolik wie die Bearbeitung eines bekannten kunstgeschichtlichen Themas oder Genres. Bezugspunkt ist in erster Linie eine kulturelle Darstellungsform, die ihre Wurzeln in den wie auch immer entstandenen kunstgeschichtlich nachweisbaren Stil- und Darstellungsformen hat. Die Bildsprache des Barock z.B. gehört hier ebenso her, wie die Lilie als Symbol der Reinheit Marias.
Als Zeichenaspekt äußert sich das Sprachsymbolische somit in unterschiedlichen handwerklichen und thematischen Verknüpfungen mit einem historisch kunstgeschichtlich relevanten Formenschatz der in der aktuellen Zeit von Belang ist. Es geht dabei aber nicht um eine Position innerhalb eines kulturellen Systems, sondern das sprachsymbolische hat immer den konkreten Bezug 'Motivelement - kulturelle Anleihe'. Gegenüber dem kulturellen Netz (O'''') ist das Sprachsymbolische konkreter, auf das Anschauliche eingegrenzt.
Der Produzent einer bildnerischen Nachricht kann sich nie aus dem kulturellen Code seiner Zeit entfernen, immer ist er, um irgendwie verständlich zu bleiben auf die Sprachformen angewiesen, die derzeitig verfügbar sind, und insbesondere auch auf deren Bedeutungsstruktur. Dies gilt dann in gleicher Weise für den Rezipienten.
Für den Rezipienten stellt sich der sprachsymbolische Zeichenaspekt immer im Rahmen seiner kulturellen Sprachbeherrschung dar. Nur wenn er den kulturellen Code als solchen identifizieren kann, hat er Zugriff zum sprachsymbolischen Zeichenaspekt. Auf der anderen Seite ist der Rezipient auch immer (ohne sein Wissen und Zutun) von der sprachsymbolischen Wahrnehmung von Wirklichkeit bestimmt in den Bedeutungsverknüpfungen seiner Wahrnehmungen.
Der sprachsymbolische Zeichenaspekt prägt die Dominanzen der Wahrnehmung: durch die „Worte" die eine Kultur zur Verfügung stellt, wird auch der Begriffs- und Bedeutungshorizont des Menschen geprägt. Dabei nimmt der Rezipient die sprachsymbolische Ebene als Abbildung von Wirklichkeit im ikonischen Sinne wahr, und nicht als kulturelle Überlieferung oder als Zitat. Damit ist Sprache durch die sprachsymbolische Wahrnehmung von Wirklichkeit ebenso für Erkenntnis- und die Bewusstseinsprozesse (und damit für das Handeln) verantwortlich, wie O selbst. (In der Zeichenkritischen Theorie ist deswegen O'' eine eigene Wirklichkeitsebene.)
Die indexalische Darstellungstendenz
Der indexalische Zeichenaspekt zeichnet sich dadurch aus, dass er auf dem Bild selbst gar nicht vorhanden ist. Dieses Paradoxon lässt sich nur durch die Tatsache lösen, dass Sender und Empfänger für die Codierung und Decodierung der auf dem Bild vorhandenen Informationen verantwortlich sind.
Jede Sprache steht in einem Kontext von Bezugsystemen, seien diese zeitgeschichtlicher oder übergreifender sprachlich-kultureller, oder auch objekthafter Art.
Jeder Sprachakt findet im Kontext einer zeitgeschichtlichen Situation statt, die sowohl Sender als auch Empfänger in der Regel kennen. Die entsprechenden Informationen brauchen dann nicht extra benannt zu werden, oder der Kontext ist sogar so selbstverständlich, dass weder Sender noch Empfänger überhaupt an diesen Kontext denken und die Information dennoch in diesen Kontext einfügen, ohne dass dieser Kontext konkret geäußert wird.
Auch der Kontext einer aktuellen Situation kann als Information vernachlässigt werden, da alle an der Situation Beteiligten diesen Kontext erfahren. Bei einem Kunstwerk ist so ein Kontextbezug eher unwahrscheinlich, da Kunst in der Regel "für die Ewigkeit" gemacht wird. (Gegenbeispiele gibt es selbstverständlich genug: Man denke nur an Andy Warhols Factory-Bilder.)
Alle Bilder, die in einer bestimmten Zeit entstehen, stehen im Bezugsystem all der Bilder, die gleichzeitig mit diesem Bild von kulturellem Belang sind, und bilden mit diesen ein "Bedeutungsfeld", aus dem das einzelne Bild kaum herausgelöst werden kann. Dieser kulturelle situative Kontext, in dem jedes Bild entsteht ist dafür ausschlaggebend, wie es dann gelesen wird, ohne dass alle Informationen dieses kulturellen, situativen Kontextes auch auf dem Bild als Zeichen vorhanden sein müssten. So kann man verstehen, dass Informationen, die auf dem Bild nicht vorhanden sind, dennoch "mitgelesen" werden können.
Einen kontextuellen Objektbezug haben Sprachakte dann, wenn die Information sich nur im Zusammenhang eines direkt auf die Situation bezogenen materiellen Zusammenhanges verstehen lässt (Stadtplan, Wegweiser, Verkehrszeichen, "mache mal das Fenster zu", "Wo ist meine Brille" etc...). Dies ist der "klassische" Bereich des "indexalischen Zeichens", wie er in vielen Lehrbüchern beschrieben steht.
Die Kenntnis des Kontextes eines Zeichenzusammenhanges ist für die Zeitgenossen mehr oder weniger selbstverständlich, und in dem Rahmen der jeweiligen Sprachbeherrschung kann jeder die Bedeutung des Zeichenzusammenhanges erkennen. Dazu ist dieser Kontext auch überprüfbar, und der Kritik zugänglich. Im Zeitpunkt der Entstehung eines bildnerischen Zusammenhanges können die Kontexte auf ihre Zuordnung hin geprüft und dann auch verworfen werden.
Von großem Interesse wird der Umstand, dass der Rezipient möglicherweise einige hundert Jahre später, und dann selbstverständlich in einem völlig anderen Kontext lebt. Dieser spätere gesellschaftlich-kulturelle Kontext ist dann die Matrix unter dem dieses Bild dann gelesen wird. Um es im Sinn der damaligen Zeit zu lesen, muss der Rezipient von heute sich Wissen aneignen von den Zeitzusammenhängen damals. Er muss Zeitgeschichte studieren und mit diesem Zusammenhang auch die Bedeutungsmuster der damaligen kulturellen Sprachverwendung. (Ob dies insgesamt möglich ist, bleibt äußerst fraglich, und ist somit auch immer Anlass für Irrtümer, Interpretationen und Vermutungen - oder auch "Meinungen", die dann durch Fachleute zur "gültigen wissenschaftlich fundierten Lehrmeinung" erhoben wird.)
Die abstrakte Darstellungstendenz
Bei der abstrakten Darstellungstendenz geht man von der Überlegung aus, dass es bei einem Bild Elemente gibt, die grundsätzlich notwendig sind, damit der Gegenstand überhaupt ein Bild ist (und nicht z.B. ein Teller.) Diese Elemente sind sozusagen die "existentiellen Konstanten" eines Bildes. Bei den Überlegungen zur Eigengesetzlichkeit von Sprachformen (Lektion 1) wurde schon deutlich gemacht, wie diese sprachlichen Konstanten selbst Informationsträger sind. Bei den Überlegungen, die der Definition des Abstrakten in der Zeichenkritischen Theorie zugrunde liegen, geht es darum, dass diese sprachlichen Konstanten die existentiellen Konstanten repräsentieren. Sowohl die existentiellen Konstanten wie auch die sprachlichen Konstanten müssen immer konkret gefasst sein, ehe sie in Erscheinung treten.
Beispiel für diesen Zusammenhang: als existentielle Konstante erleben wir den Bezug zur Schwerkraft z.B. im Stehen. Wir erleben 'Stehen' als aktive Statik. Als Äquivalent zum Stehen erscheint uns die bildsprachliche Konstante beim (Tafel-)Bild "Senkrechte".
Die Gesamtheit der Äquivalente zu den existentiellen Konstanten die die Bildsprache darstellen kann werden als die "bildnerischen Variablen" in der zeichenkritischen Theorie beschrieben. "Variable" deswegen, weil sie immer einer Konkretion bedürfen um anschaulich zu werden, sie sind solange variabel, bis sie konkret formuliert sind.
Somit
wird die
abstrakte Darstellungstendenz im abstrakten Zeichenaspekt konkret. Die
existentiellen Konstanten, die sich überhaupt im Medium ‘Bild’ ausdrücken
lassen, finden in den bildnerischen Variablen ihren konkreten bildsprachlichen
Ausdruck. Diese schließen über die Variablen ‘Trägermaterial’,
‘Technik’ und ‘Dimension’ die Eigengesetzlichkeiten des Materials mit
ein. Über die Variablen ‘Faktur’ und ‘Verwirklichung’ schließen sie
den Produzenten und über die Variablen Form, Dichte, Kontraste,
Lage/Komposition, den ‘Ausdruck’ mit ein.
Zurück
zum Produzenten eines Bildes. Dieser wird seine Aussage im Rahmen der bisher
dargelegten Zeichenaspekte materialisieren und dabei den einen oder den anderen
Aspekt stärker betonen. Und er wird auf keinen ZA völlig verzichten können
1.
Jedes Bild hat immer Anteile aller Zeichenaspekte. Und diese werden
konkretisiert in den bildnerischen Variablen, die sozusagen die
‘existentiellen Konstanten’ des Bildes sind. Abstrakt stellen sich diese dar
als das, was konstituierend für ein Bild ist, und konkret erscheinen sie in der
jeweiligen Formulierung, die der Autor ihnen gibt. Der Autor gibt dem zur Verfügung
stehenden
Material, also in der Regel Trägermaterial und Farbe, eine bestimmte Form, die
sich nun an ganz bestimmten Stellen der Bildfläche befinden. Der abstrakte
Zeichenaspekt wird sichtbar in der jeweiligen Konkretion der bildnerischen
Variablen, sei es als Linie, als Kontrast, als Farbe etc. Dies ist die Syntax
des Bildes. Alle Zeichenaspekte konkretisieren sich in letzter Linie in dem, was
syntaktisch auf dem Bild angehäuft wurde.
Der
Rezipient wird sieht erst einmal auch nichts anderes, als was materialiter auf
dem Bild ‘drauf’ ist, er sieht also keinen ‘Sonnenuntergang’, sondern er
sieht verschiedene Pigmente an unterschiedlichen Orten. Da er aber dann doch das
"Motiv" erkennen will und nicht die sagen wir mal grüne Senkrechte
gegenüber einem glänzenden roten Pigmenthaufen, wird er das Abstrakte als
selbstverständlich abtun. (Wegen der Orientierung, die im Zusammenhang der
symbolischen Bedeutungen der entsprechenden Zeichenaspekten 2
gesucht wird.)
Dem
Abstrakten, dem „Selbstverständlichen” wird er kaum Beachtung schenken, da
es sowieso ständig bei seiner Wahrnehmung mitschwingt, und wird dem Besonderen,
also dem „Bedeutungsvollen” des Bildes seine volle Aufmerksamkeit widmen.
Der abstrakte ZA, so wichtig er in Wirklichkeit ist, führt somit ein
kummervolles Dasein. Zur "formalen" Angelegenheit degradiert,
allenfalls "interessant" oder "kompositorisch gekonnt", wird
er kaum jemals als das wahrgenommen, was er ist, nämlich die Repräsentation
der existentiellen Konstanten menschlicher Seinsweise.
Fußnoten
1 der ästhetische Zeichenaspekt wird immer dadurch anwesend sein, dass das Bild etwas ist, was sinnlich wahrnehmbar sein muss. Irgendwie musste das Bild auch hergestellt worden sein, es muss somit einen gestischen Anteil haben (auch wenn dieser völlig verborgen wird). Der t-sy ZA ist dabei, weil der Produzent immer irgendeine Empfindung beim Herstellen des Bildes haben wird, oder aber das Bild nur rezipierbar wird als "Kunst", wenn es eben dieses "Geheimnisvolle" auch hat, was die Faszination einem Kunstwerk gegenüber ausmacht, und dieses von der Handhabung einer Gebrauchsanweisung oder eines Stadtplanes unterscheidet Der ikonische Zeichenaspekt ist anwesend, weil irgendwie etwas auf dem Bild sein wird, was als solches wiederzuerkennen ist, und sei es nur die Farbe 'rot'. Die persönliche Handschrift als Individualsymbolik und der kulturelle Bezug als Sprachsymbolik sind selbstverständlich auch mit von der Partie, und in einem kulturellen Kontext befindet sich das Bild auch allemal. Sicherlich lassen sich Extremfälle konstruieren, bei denen doch ein ZA fehlt, aber dies ist so untypisch für ein Bild, welches sich als "Kunst" darstellt, dass ich keine Lust habe dies nachhaltiger zu untersuchen.
2 Tiefensymbolik, Ikonizität, Individualsymbolik und Sprachsymbolik
weiter zu bildnerische Variable