Die Wirksamkeit - O'''


Der Rezipient hat wie der Sender seine interne Weltvorstellung. Es tritt ihm jetzt in Sprachform ein äußerer Impuls (O'') entgegen, welchen es gilt, zu bewerten und möglicherweise in das eigene Weltbild zu integrieren. Er wird deswegen erst einmal überprüfen, wie sich die neue Information zu dem verhält, was er bisher dachte oder wusste. Diese Überprüfung ist nicht wertneutral, hier sind schon eine ganze Menge (interne) Faktoren am Werk, die ihn beim Verstehen der Aussage lenken und beeinflussen. Dazu hat er auch der Sprachform gegenüber eine bestimmte Sprachbeherrschung, ein Vokabular, und wird mit einzelnen Zeichen, die er wahrnimmt bestimmte Denotationen und Konnotationen verknüpfen. Das 'Feld' dessen, was unter einem bestimmten Begriff verstanden wird, kann bei den unterschiedlichen Menschen grundverschieden sein. Damit sind wir auf der sicheren Seite, dass er das, was er da sprachlich wahrnimmt, nicht so versteht, wie der Autor es meinte, bzw. wie die Sprache selbst es konkretisiert. 

Die Information ist in der Regel (in jedem Fall beim indirekten Medium) in einer Situation (auch die interne Situation des Senders ist hier natürlich gemeint) entstanden, die jetzt nicht mehr existiert, oder die in ihren ganzen Zusammenhängen so nicht erfahrbar ist, und durch eine andere, nämlich die jetzige Situation des Rezipienten, wahrgenommen wird. Diese äußere und interne Situation des Rezipienten wird auch auf das Rezipierte einwirken.

Ist O' noch im Austausch mit der Realität entstanden, und man musste (zumindest als man noch nicht sprechen konnte) sich die wesentlichen Dinge der Realität selbst aneignen, sie selbst in ein Ordnungsschema bringen, in dem man sich orientieren konnte, so versteht man das O''' als etwas, was bereits durch das Erfassen eines anderen Menschen eine bestimmte Form erhalten hat, Die Formulierung ist einem näher als "das Original" der Realität. Die Information ist sozusagen vorgekaut, vorverdaut, zubereitet, schmackhaft gemacht. O''' hat deswegen gegenüber O' eine Qualität der "Einfachen Handhabung". Ist O amorph-situativ, und sind hier die Konstanten für die Wahrnehmung erst zu bilden, dann ist bei O'' der Weg durch das "klärende" Gehirn eines anderen Menschen bereits vollzogen, es ist "einfacher" zu rezipieren. Andererseits kann man es auch schneller verwerfen, wenn es dem "hart erworbenen" O' widerspricht.

Ein wesentlicher Faktor tritt jetzt hinzu: Der Sender der Information ist eine Person, mit der der Empfänger bereits direkte Erfahrungen gemacht hat. Diese Erfahrungen können selbstverständlich durch das ganze Spektrum menschlicher Interaktion charakterisiert sein, mit all den positiven und negativen Einstellungen, die daraus folgen können. Die nicht vorhandene direkte Erfahrung im Umgang mit der Information wird ersetzt durch die direkte Erfahrung mit dem Sender. Dies wird in der Zeichenkritischen Theorie das "Gewährsmannprinzip" genannt. Dieses Prinzip dient als Brücke bei fehlender direkter Erfahrung, um die Akzeptanz der Information zu regulieren. 

Alles, was im Gehirn an Gedanken, an Vorstellungen entsteht hat ein Quelle. Bei O' ist die Quelle die Realität (abgesehen von dem, was später unter dem Aspekt der symbolischen Wahrnehmungstendenzen dargestellt werden wird). Diese Quelle wird beim O''' ersetzt durch das, was normalerweise beim Zitieren z.B. als "Quelle" bezeichnet wird. "Quellenstudium" heißt sich konfrontieren mit primären kulturellen Artefakten und Texten. Die Quelle ist beim O''' die Vertrauenswürdigkeit des Senders, der, auf Grund welcher Überlegungen und Sympathien auch immer, als verlässlich angesehen wird. 

Das O''' ist eine Wahrnehmungsform von geringer Dauer. Sie dient dazu (eben auch in "Lernprozessen", für die der Mensch so außerordentlich spezialisiert ist) ein Maximum an sinnvollen Informationen für die eigene Lebensbewältigung bereitzustellen; eben auch aus dem Erfahrungsschatz anderer (und möglicherweise längst gestorbener) Menschen. Diese Informationen müssen gesichtet und dann in die eigene Weltvorstellung integriert werden, wo deren Ursprung sehr bald so mit dem Eigenen sich vermischt, dass kaum noch erkennbar bleibt, was Eigenes und was Fremdes war. 

Es kommt in der Begegnung mit Sender und Gewährsmann zu verschiedenen Wirkungen im internen Verhalten des Rezipienten:

O''' = O'

O''' # O'

O''' ~ O'

Hierunter kann man verstehen, dass der Empfänger mit der Information des Senders voll einverstanden ist. Die Information affirmiert den Empfänger in dessen Vorstellungen. Das O''' wird als nicht unterschieden wahrgenommen zum O'. Hierunter kann man verstehen, dass der Empfänger mit der Information des Senders überhaupt nicht übereinstimmt. Der Empfänger lehnt die Information ab. Das O''' wird als inkompatibel mit der eigenen Weltvorstellung O' erfahren. Die gegensätzliche Meinung wird nun bekämpft oder vergessen. Hierunter kann man verstehen, dass der Empfänger mit der Information des Senders zwar nicht voll übereinstimmt, aber dennoch diese so interessant findet, dass eine weitere Beschäftigung damit lohnt. Gerade aus der Differenz zwischen O''' und O' wird jetzt Lernen ermöglicht. 

O''' ist die Ebene der Wirksamkeit, es ist noch keine Handlung, sondern das sprachlich Aufgenommene führt zu einer internen Stellungnahme gegenüber dieser Aussage.

Im Gegensatz zu dem Kommunikationsmodell, welches vom Sender aus "denkt", also vom "Empfänger", als dem passiven Part im Kommunikationszusammenhang spricht, ist das O''' ebenso wie das O' als unterscheidbare, für menschliches Lernen unabdingbare Qualitäten (eben Wirklichkeitsebenen) in jedem Menschen Voraussetzung für Kommunikation. Im Augenblick, in dem ein Mensch "Empfänger" einer Botschaft wird, wird dieses O''' aktiviert, und er wird aktiv damit beschäftigt sein, diese Information für sein eigenes Leben so zu interpretieren, dass daraus auch Handlungsmöglichkeiten (bewusst und unbewusst) sichtbar werden. Es ist die Wirklichkeitsebene der Unterscheidbarkeit von Individuen mit deren unterschiedlichen "Meinungen", Es ist damit auch die Ebene der Auseinandersetzung, auch des Streits. Aber auch die Ebene der bekennenden Solidarität gegenüber der Position eines anderen Menschen.


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