Die Formulierung - O''
Was von O, also der Realität,
als O' im Bewusstsein erfasst worden ist, ist Grundlage dafür, was der Mensch
dann wieder mitteilen will. Dieses Mitgeteilte, "Geäußerte" nenne
ich in der Zeichenkritische Theorie O''. O'' deswegen, weil es wiederum
gegenüber O' grundsätzliche Unterschiede gibt; man kann das O' nicht ohne
Verlust - aber auch nicht ohne dass etwas Neues hinzukommt - nach O'' übersetzen.
Deswegen auch hier: O'' ist die Ableitung von O' oder die zweite Ableitung von
O.
Damit es allerdings überhaupt
zu einer Mitteilung kommt, sind etliche Vorbedingungen notwendig. Sehr viel von
dem was die Befindlichkeit ausmacht, wird nie Anlass sein für eine
Kommunikation. Es bleibt Geheimnis, oder es ist so selbstverständlich,
dass man nie darüber reden würde. Damit Gedanken, Ideen, Phantasien 'ausgedrückt'
werden, bedarf es einer Absicht. Nur über eine Absicht hat der Mensch überhaupt
das Bedürfnis seine innere Welt nach außen hin mitzuteilen. Absichten können
der unterschiedlichsten Art sein, sie müssen aber immer durch etwas veranlasst
sein, und sei es nur eine Stille zu durchbrechen.
Eine Absicht entspringt
somit einer Situation. Diese ist Anlass dafür, dass eine Äußerung
getan wird. Diese Situation kann von innen kommen oder von außen. Wir können
diese Situation den 'Kontext' nennen. Je mehr der Gesprächspartner
diesen Kontext teilt, desto weniger Worte braucht man. Ganz viel an
zwischenmenschlicher Kommunikation bedarf nur weniger Worte, um die gemeinte
Qualität zu erfassen. Heute insbesondere wird ein Sprache kultiviert, die ganz
dieser Kontextualität verpflichtet ist: "gib mal das Ding",
"das ist aber cool", und derlei Begriffe mehr, sind so offen,
dass sie nicht in der Lage sind, als Begriff wesentliche Informationen zu
transportieren, und nur im Zusammenhang mit einem bestimmten, gemeinsamen
Kontext sind sie verständlich. (Sie sind also im wesentlichen bestimmt vom
indexalischen Zeichenaspekt.)
Gedanken als solche sind
nicht fassbar. Um sie mitteilen zu können, brauchen sie eine Form. Form ist
immer an ein Material gebunden, man muss also ein Material formen, um eine
Aussage machen zu können. Es ist sicherlich unmittelbar einleuchtend, dass
nicht jedes Material in gleicher Weise geformt werden kann, dass es Unterschiede
gibt, einem Material durch Formung Zeichencharakter zu geben. Formbare
Materialien nennt man "Kanäle", und es gibt in den Zeichensystemen,
die die Menschen entwickelt haben bestimmte Kanäle, die gegenüber anderen
privilegiert sind. Kanäle können z.B. sein: Luft (z.B. gesprochene
Sprache, Lachen, Schreien, - wobei zum Kanalsystem auch noch Lunge, Stimmbänder
und Mundpartie gehören) und Licht (Fernsehen, Kino, aber auch
reflektierenden Oberflächen wie Tafelbild, Schmuck, Kleidung etc. Natürlich
gehört auch hier zum Kanal ein erweitertes Kanalsystem, bei dem andere Stoffe
und Geräte eine Rolle spielen). Kanäle sind aber natürlich auch Holz, Papier,
Leinwand, und wir können letztlich zu dem Schluss kommen, dass es viererlei
Bedingungen für den geformten Kanal als Zeichensystem gibt: man braucht ein Trägermaterial,
ein Werkzeug, um zu formen, und fast immer braucht man auch noch ein weiteres
Material, welches mit dem Trägermaterial durch die Formung verbunden wird,
welches wir das Gestaltungsmaterial nennen. Schließlich brauchen wir den
Former, den, der durch die handelnde Aktivität seines Körpers dem Ganzen die
Form gibt. Wir werden später sehen, dass diese vier Komponenten die
"Spur" als bildnerische Variable ausmachen werden.
Die Formulierung
unterliegt der Eigengesetzlichkeit des Träger- und Gestaltungsmaterials aber
ebenso dem Werkzeug und dem "Macher". Und die verschiedenen
Sprachsysteme unterscheiden sich auf Grund deren jeweiliger Eigengesetzlichkeit.
'Form' und 'Inhalt' sind Kategorien der Formulierung; 'Wesen' und 'Gestalt' sind
die entsprechenden Kategorien auf der Ebene der Realität. Man darf also
nicht nur nach dem Inhalt suchen als dem, was der Sender "sagen
wollte", sonder man muss auch sein Augenmerk in ganz besonderer Weise auf
das lenken, was als Information über die Eigengesetzlichkeit des Materials
hinzukommt. Hier ist eine wichtige Vorbedingung für das, was als Kunst
verstanden werden kann.
Derjenige, der etwas
mitteilen will, muss sich als Kanal seiner beabsichtigten Botschaft denjenigen
aussuchen, der auf Grund seiner Eigenschaften in der Lage ist das Gemeinte am
besten zu transportieren. Die moderne Sprachwissenschaft versteht unter
'Sprache' alle Systeme, die der Mensch hervorbringen oder nutzen kann, um
Informationen weiterzuleiten, bzw. Kommunikation zu initiieren. Darüber hinaus
betrachtet das O-Modell alle Produkte menschlicher Gehirntätigkeit, insofern
sie intentionalen Charakter haben und sich materiell manifestieren, als O''.
Somit differenzieren wir das O'' zum einen in die 'eigentlichen' Sprachen und
zum anderen in die Menge der Artefakte, die Resultate von Handlungen sind.
Wie schon angesprochen ist die Sprachbeherrschung und der Zugang zu den Sprachformen selbst auf Grund ökonomischer Voraussetzungen eine Hemmschwelle zur Sprachausübung, die hier aber nicht weiter vertieft werden soll.
Bei der Zeichenkritische
Theorie geht es insbesondere um die Frage der bildenden Kunst und deren
Eigengesetzlichkeit. Darum werden wir die Frage nach Artefakten und nach solchen
Kommunikationsstrukturen, die sich als Gesellschaftssysteme und deren Überbau
darstellen, zumindest hier nicht untersuchen.
Bilder können zum Inhalt
haben die Realität, aber auch die Befindlichkeit oder die Befindlichkeit gegenüber
der Realität. Sie können aber auch die Sprache selbst zum Gegenstand haben,
z.B. beim "Experimentieren" oder beim "Schön-Schreiben“.
Dieses Feld wird näher untersucht bei dem Thema "Aussageebenen" und "Aussagemodi".