Die indexalische Wahrnehmungstendenz
Situation, Position und Gegenwart sind Schlüsselbegriffe, die für das Verständnis des Indexalischen wichtig sind.
Zur Situation:
Die Wirklichkeit ist die Gesamtheit dessen, was
der Mensch in einer bestimmten Zeitspanne an einem bestimmten Ort erlebt.
Die Wirklichkeit ist homogen und konkret. Dieses aktuelle Gefüge der
Wirklichkeit ist die "Situation". Der Mensch erlebt diese Situation
ebenfalls "konkret", sie wird ihm bewusst und sie bildet sich in den
Gedächtnisregionen des Gehirns als Erinnerung ab. Man vermutet inzwischen, dass
die Wirklichkeit sich in den verschiedenen Gedächtnissen1
gleichzeitig abbildet, so dass das, was im sensorischen Gedächtnis für die Bewältigung
der aktuellen Situation sich abbildet für die Speicherung im Langzeitgedächtnis
zum einen gefiltert wird und zum anderen mit den Erfahrungen angereichert wird,
die aus der Bewältigung der aktuellen Situation sich ergeben haben. Dadurch
entsteht eine Bewertung der Situation, die ins Langzeitgedächtnis mit übernommen
wird.
Die Menge der Informationen ist gewaltig, die in
jeder Sekunde vom Gehirn auf diese Weise verarbeitet werden muss. Deswegen ist
es nützlich, wenn möglichst die Information auf das reduziert werden kann, was
aktuell ‚wichtig’ ist. Die Aufmerksamkeit kann sich nur auf wenige Elemente
konzentrieren, davor hat schon die Auswahl stattgefunden, womit sich die Beschäftigung
lohnt. Die ist im Wesentlichen auch die Funktion des Ikonischen, dort wird
entschieden „kenn ich schon, brauch ich mich nicht mehr drum zu kümmern“.
Das Gehirn selbst ist aber auch dafür
verantwortlich, dass dem sensorischen Speicher auch wiederum diese Informationen
zukommen, und außerdem alle Informationen, die die Orientierung in der
Situation erleichtern. (auch wenn wir hinten keine Augen haben, „wissen“ wir
doch, was hinter uns ist.) Diese Rückkopplung aus dem Langzeitgedächtnis ins
sensorische- und Arbeitsgedächtnis ist die wesentliche Funktion des
Indexalischen.
Jede (notwendigerweise) neue Situation wird mit erinnerten Situationen verglichen. Die Wahrnehmung einer Situation ist so immer ein Mischungsverhältnis aus äußerer Situation und Erinnerung. (O')
Gleichzeitig bin ich als Mensch immer auch in dieser Situation anwesend. (zumindest physisch, und gehöre dadurch auch zum Mischungsverhältnis der Situation.)
Elemente einer Situation können konstant bleiben, d. h. in anderen Situationen identisch in Erscheinung treten. Wenn der Ort das kennzeichnende einer Situation ist, dann ist der Zeitfaktor relativ unerheblich. (Normalerweise steht ein bestimmtes Haus auch noch in zehn Jahren an einer bestimmten Stelle...) Ist der Zeitfaktor das Kennzeichnende einer Situation, dann ist der Ort relativ unerheblich. (Schönes Wetter gibt es überall).
Die menschliche Wahrnehmung einer Situation ist immer auch verknüpft mit der Wahrnehmung derselben Situation durch andere Menschen. Situationen, die eine Person noch nicht "kennt" werden durch eine andere Person, die diese Situation bereits "kennt" interpretiert, gewertet, gedeutet. (Über " Sprache", O''.)
Wiederkehrende Erfahrungen mit "Konstanten" einer Situation werden als Ikone erinnert, äußere Situation, Interpretation dieser Situation durch einen anderen Menschen und meine daraus resultierende eigene Interpretation der Situation ergeben bei mir die Möglichkeit der "Kenntnis'' der Situation.
Fehlerquellen in bezug auf eine Äquivalenz von „Kenntnis“ und Wirklichkeit:
1. Jede Situation ist prinzipiell vom Mischungsverhältnis her anders als jede bisherige.
2. Die Interpretation eines anderen Menschen, die in meine eigene Interpretation der Situation miteingeflossen ist, muss keine angemessene Auslegung der Situation sein.
3. Der Effekt meines eigenen "in-der-Situation-sein"
bleibt mir unbewusst. Dadurch erfahre ich nicht die Beeinflussung der Situation
durch meine Anwesenheit.
4. Meine eigene "Kenntnis" der Situation verstellt mir die Sicht auf die Unterschiedenheit der neuen Situation gegenüber dem vermeintlich „gewussten“.
Positionsbegriff:
Jeder Mensch erlebt Wirklichkeit anders als jeder andere, da jeder Mensch seine eigene Position im Leben, und damit in jeder Situation innehat. Räumlich ist die Position durch meine Körperlichkeit gegeben, meine Position kann kein anderer Mensch einnehmen, ohne mich von meiner Position zu verdrängen. ("Wenn ich Du wäre, täte ich... "tuten").
Zeitlich ist meine Position immer in der Gegenwart. Jeder Versuch daraus auszubüxen kann nur schief gehen. Im Zusammenhang mit "Erfahrung" und "Gedächtnis" ist Position im übertragenen Sinn Weltanschauung. Die Interpretation von Wirklichkeit als Abstraktum, als Begriff ist Ergebnis meines bisherigen Lebensprozesses.
Wir sind als Menschen auch auf die Positionen der
anderen Menschen angewiesen. Ein wesentlicher Teil unserer Erfahrung stammt aus
der Kenntnis der Position anderer. Jede vergangene und jede gegenwärtige
Position von einem anderen Menschen ist demnach auch eine Begrenzung, aber damit
auch eine Qualifizierung meiner eigenen Position, die ich in der Abgrenzung überhaupt
erst als Position erfahren kann.
Gegenwart:
Aus dem bisher Entwickelten wird deutlich dass
Gegenwart etwas ist, was die Position in einer Situation bezeichnet. Gegenwart
ist das Einzige, was der Mensch erleben kann. Vergangenheit ist immer in die
Gegenwart hinein aktualisierte Vergangenheit, und demnach auch eine, die auf die
Situation hin aktualisiert wird. Vergangenheit ist somit immer das, was aus dem
Fundus des Erinnerten für die Bewältigung der Situation erforderlich ist. Ähnlich
sieht es mit der Zukunft aus: Das was wir als Zukunft erleben ist immer das, was
uns bei der Entscheidung lenkt, wie wir in einer Situation agieren sollen.
Die indexalische Wahrnehmung kann man nun in
diesem Feld näher bestimmen: Die indexalische Wahrnehmungstendenz ist die
bewusste Wahrnehmung der Situation (ästhetisch-ikonisch) im Kontext der eigenen
Position als Erfahrung von Gegenwart. Da der Mensch diese selbstverständlichen
Zusammenhänge konkret erlebt, ist es „normal“, auch anzunehmen, dass der
andere Mensch, mit dem man z.B. kommuniziert, dieselbe Wahrnehmung hat. Man
braucht sich deswegen darüber nicht auszutauschen. Das Indexalische ist
deswegen auch so etwas wie das Selbstverständliche, allerdings klar
bezogen auf den situativen Kontext.
Probleme die sich daraus ergeben sind die, dass die Informationslücken, die im Kontext ohne weiteres geschlossen werden können, im Zusammenhang eines indirekten Mediums zu der Schwierigkeit führen, dass man keine direkte Kontexterfahrung hat, und den Kontext mehr oder weniger mühsam rekonstruieren muss. Dazu ist man dann notwendigerweise auf sprachliche Äußerungen angewiesen, mit den dazugehörigen Fehlerquellen.
1 Unabhängig davon, ob das Gedächtnis als System voneinander getrennter Speicher (Multispeichermodell) oder als einheitliches Speichersystem (Einspeichermodell) betrachtet wird, kann man im Zusammenhang mit unterschiedlichen kognitiven Leistungen zahlreiche Gedächtnisfunktionen unterscheiden. Dazu gehören die sehr kurzfristige Speicherung physischer Merkmale wahrgenommener Objekte (sensorische Speicherfunktion), die kurzzeitige Speicherung geringer Informationsmengen zum Zweck der aktuellen Handlungsplanung und -steuerung (Kurzzeit- und Arbeitsspeicherfunktion) sowie die langfristige Speicherung unterschiedlichster Informationen, die noch nach zusätzlichen funktionellen Gesichtspunkten unterteilt werden (Langzeitspeicherfunktion). (Zitiert aus Microsoft Encarta)