Wer denkt abstrakt? |
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ist ein kleiner Aufsatz von Hegel, in dem freilich bereits vorausgesetzt wird, dass wir, die Leser, oder wie Hegel sagt: „die schöne Welt“, schon wissen, „was das Abstrakte ist“. Aber immerhin erfahren wir hier, wie „die schöne Welt“ Anfang des 19. Jahrhunderts auf das Abstrakte reagiert oder genauer: wie Hegel sich deren Reaktion vorstellt. Er nennt nämlich ‚abstrakt’ ein „Wort, vor dem jeder mehr oder minder wie vor einem mit der Pest Behafteten davonläuft“. Hegel sieht sich also genötigt, seine Leserinnen zunächst einmal zu beschwichtigen. Er wolle keineswegs, „dass unter dem Schein einer leichten Konversation das Denken und das Abstrakte [...], wie die Schwaben sich ausdrücken, hereingezäunselt worden wäre“. Davon kann hier nun ganz und gar nicht die Rede sein, weil Du klipp und klar die Frage stellst, was heißt abstrakt. Nun auch hier kann uns Hegel weiterhelfen, der ja nicht nur Dein Landsmann sondern als Nürnberger Gymnasiallehrer auch Dein Kollege ist und in dieser seiner Eigenschaft Texte für den Philosophieunterricht geschrieben hat. „Gegenstände sind das Besondere, was sie sind durch ihre Bestimmung, - ein sinnlicher Gegenstand z.B. durch seine Gestalt, Größe, Schwere, Farbe, durch den mehr oder weniger festen Zusammenhang seiner Teile, durch den Zweck, zu dem er gebraucht wird, usf. Lässt man nun die Bestimmungen von einem Gegenstand in der Vorstellung weg, so heißt man dies abstrahieren. Es bleibt ein weniger bestimmter Gegenstand oder ein abstraktes Objekt übrig“.. So oder so ähnlich haben wir uns das Abstrahieren immer schon vorgestellt. Doch gerade deshalb ist es befriedigend, unsere Vorstellung bei Hegel wiederzufinden. Nun fragt sich allerdings, wozu das Abstrahieren gut, weshalb „die abstrakte Form zunächst die Hauptsache“. sein soll. Auch auf diese Frage hat Hegel eine Antwort: „Der Jugend muss zuerst das Sehen und Hören vergehen, sie muss vom konkreten Vorstellen abgezogen, in die innere Nacht der Seele zurückgezogen werden, auf diesem Boden stehen, Bestimmungen festhalten und unterscheiden lernen“. Ich vermute, Dir geht es bei Deinen abstrakten Arbeiten gerade nicht darum, dass den Betrachtern Hören und Sehen vergeht, sondern im Gegenteil darum, dass sie sehen, was da zu sehen ist, und nicht das Gesehene durch das ersetzen, was sie von den dargestellten Gegenständen wissen. Das könnte ein Grund dafür sein, um heute (noch) gegenstandslose Bilder zu machen. Freilich lässt sich nicht übersehen, dass die Sensibilisierungsthese, wie ich sie der Einfachheit halber nennen möchte, selbst schon geschichtlich ist und daher nur eine relativ schwache Begründung dafür zu liefern vermag, um heute abstrakt zu arbeiten. Immer schon war die Malerei eine Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Geschichte. Für die Moderne gilt das in besonderem Maße. Wesentliche Abschnitte der Geschichte der modernen Malerei lassen sich rekonstruieren als quasi-logische Entwicklung eines künstlerischen Materials (In dieser zurückgenommenen Form scheint mir Adornos These noch haltbar). Zur Zeit um den ersten Weltkrieg nun drängt diese Entwicklung Maler wie Kandinsky und Kupka, Mondrian und Malewitsch dazu, ganz auf den Gegenstandsbezug zu verzichten. Damit folgen sie einem Prinzip, das die Dichtung schon im 19. Jahrhundert entdeckt. Valéry hat es folgendermaßen formuliert: „On voit enfin, vers le milieu du XIXe siécle, se prononcer dans notre littérature une volonté remarquable d’isoler définitivement la Poésie, de toute autre essence qu’elle-même“.. Die Dichtung soll nichts anderes als Dichtung, die Malerei nichts anderes als Malerei sein. Das ist die heroische Phase der Abstraktion. Sie erscheint als Akt der Befreiung der Malerei von ihr fremden Elementen. Nach dem zweiten Weltkrieg wird die abstrakte Malerei kanonisiert. Dabei spielen politische Konnotationen durchaus eine Rolle. Noch in den 80er Jahren konnte ein niedersächsischer Kultusminister bei der Öffnung einer Schumacher-Ausstellung in Hannover die abstrakte Malerei als Kunst der freien Welt vom sozialistischen Realismus des Ostens absetzen. Weder auf die heroische Phase der Abstraktion zu Beginn des Jahrhunderts, noch auf die der Kanonisierung zur Zeit des kalten Krieges kann man sich heute berufen. Das ist um so weniger möglich, als früh an der Abstraktion ein Moment des Gefälligen, Dekorativen erkennbar wurde. (Schon Kandinsky hat im Ornament eine Gefahr für die abstrakte Kunst gesehen). Darauf reagieren in sehr verschiedenen Registern Tàpies und Beuys mit einer Ästhetik des Schrottigen. Sie enthält immer noch Widerstandskräfte gegen die mediale Bilderflut, die uns umgibt. Für die Abstraktion scheint mir das nicht im gleichen Maße zuzutreffen. Zu ihrer Rechtfertigung heute sehe ich vor allem ein Argument: Sie kann sich für den einzelnen Künstler aus der inneren Entwicklungslogik seines Materials ergeben. Das scheint mir in Deinen Arbeiten der Fall zu sein. Du hast das Material Deiner Clown-Bilder konsequent entgegenständlicht, bis nur noch der Gegensatz eines geometrischen und eines freien Elements übriggeblieben ist. Das kann man so machen. Die Entwicklung hat ihre innere Notwendigkeit. Nur, hat sie auch eine im Hinblick auf unsere Zeit? Das scheint mir fraglich. - Du lebst aber nicht nur in Deinem Atelier, sondern auch in unserer in rasendem Wandel beinahe stillstehenden Zeit (das weiß ich aus unseren Gesprächen). Wenn Du beide Welten wieder miteinander in Beziehung bringen willst, musst Du auf die Sicherheit Deines Könnens verzichten, die Reinheit der Abstraktion verlassen und das Misslingen riskieren. Vor mir habe ich zwei Deiner perfekten Lithos stehen. Aber es kann sehr wohl sein, dass meine Sätze sich ebenso an mich richten wie an Dich. Auch ich stelle mir gegenwärtig die Frage, ob ich mein bisheriges Schreiben fortsetzen soll oder ob ich noch einmal einen neuen Anfang mache. Auch ich weiß nur zu gut, wie angstbesetzt die zweite Alternative ist. Wir müssen darüber reden! Peter Bürger, Literaturwissenschaftler (Bremen) |
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aus: Konkret-abstrakt, Katalog Tilman Rothermel, 1998 |