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  Die Senkrechte ist geprägt von einer aktiven Statik.

Aktiv, weil die Senkrechte nach allen Seiten offen ist, vom Körperempfinden her mit Kraft verbunden ist. Sie kann umfallen, sich in Bewegung setzen, kann die Balance verlieren.

Statisch ist sie, weil sie eine ankommende Kraft aufhalten kann (standhaft), weil sie fest steht, weil sie mit dem Boden verhaften ist, eine gleichbleibende Richtung besitzt.

Das Stehen ist die ureigenste Grunderfahrung der Senkechten. Wir erleben das stehen als fest, aber auch als ermüdend, wir stehen auf zwei Beinen, um die Balance zu halten und um nicht in Bewegung zu geraten. Die Senkrechte ist immer auf die Anziehungskraft der Erde bezogen, im Weltall gibt es erst einmal so etwas wie eine Senkrechte nicht. 

Aber die senkrechte ist auch bestimmt vom unten und oben, das "Unten", welches definitiv am Boden klebt, das "Oben", welches relativ frei nach allen Seiten schauen kann, nach oben tendiert, dort wo der Kopf, also das Denken beheimatet ist.

Unten regieren die Schuhe. Hier gibt es nur eine einzige innige Beziehung nämlich die zu dem Stück Boden, wo man draufsteht, ja eigentlich draufklebt. Aber dieses bestimmt dann auch die eigene Position, dort wo ich stehe kann kein zweiter stehen. Die Senkrechte ist demnach auch die Darstellung der Individualität, jedes "Standbild" versucht dies ja auch zu verkörpern.

Man kann "Standpunkte einnehmen", "wenn ich an Deiner Stelle wäre", auch: aufrücken, an jemandes Stelle treten, jemandes Platz einnehmen; feindlich: "vertreiben", "besetzen", Terrain "erobern", (hier steht auch noch die Idee dahinter, dass man dies "von oben" machen muss, man muss den Platz einnehmen, indem man den zu Vertreibenden erst einmal vom Boden wegnimmt, ihn hochhebt, um ihn dann positionslos wegschleudern zu können.)

Wie ist das Beim Schachspielen? - Da werden die Figuren geschlagen, bis auch der König seine Position verloren hat... Aber: was geschieht eigentlich mit den Figuren, deren Position eingenommen wurde, die vom Spielfeld vertrieben wurden? Was ist deren weiteres Schicksal?

Und die Senkrechte ist auch die Darstellung von Hoffnung. Ein Zustand, das zunächst statisch ist, jedoch durch die geringste dynamische Tendenz (Schräge) sofort in eine intensive Bewegung umschlagen könnte, wenn es soweit ist.

Zu Bildern von Tilman Rothermel (neue Seite)