zurück Die Farbkontraste als Abstrakta
 
  Farbe transportiert als O'' (Formulierung) unterschiedliche Aussageebenen und Darstellungstendenzen.
Aussageebenen und Farbe

Als O-Aussage kann Farbe Eigenheiten des "Motivs" darstellen. In Verbindung mit einem Motiv kann Farbe Zeichen sein für die besondere Ausprägung des Motivs in Richtung auf dessen Gegenstandsfarbe bzw. Lokalfarbe. (Ikonizität, Indexalität.)


Den Übergang zur O'-Aussage (also O - O'-Aussage) markiert die Erscheinungsfarbe. Der Beobachter (und Maler) einer Erscheinungsfarbe schaut sowohl sehr genau darauf, wie die Farbe unter den situativen Bedingungen in Erscheinung tritt, kann dies aber nur in Bezug auf seine eigene Wahrnehmung (ästhetische Wahrnehmung.)

Blechen,


Als O'-Aussage bezeichnet Farbe einen bestimmten Ausdruck der Person, einen bestimmten ihr gemäßen Empfindungsbereich. In Zusammenhang mit der  Rezeptionstendenz wird Farbe als O' Aussage insbesondere über t-sy und i-sy wirksam werden. "Wie wir eine Form entweder begrifflich fassen oder sie als gespannt, gelöst, streng, dynamisch usw. auf uns wirken lassen, so nehmen wir auch die Farbe auf zweierlei Weise wahr: entweder begrifflich-sachlich - das ist geschichtlich gesehen eine späte Wahrnehmungsweise - oder psychophysisch, urtümlich, 'dann ist 'Rot' nicht die optisch-spektrale Qualität, sondern etwas anderes mit den Eigenschaften eines lebendigen 'brennenden", energischen, kraftvollen' Ausdrucks (Sedlmayr) ... diese Wirkungsweise ist die primäre." (Pawlik/Straßner) Macht man als Produzent eine O'-Aussage, sind dieselben Tendenzen (t-sy und i-sy) wirksam: als Befindlichkeitsaussage ist die Farbwahl insbesondere dem Tiefensymbolischen zuzuordnen, für das Bewusstsein sind diese Farben dann besonders "schön", man mag sie, es sind die Lieblingsfarben. Im Zusammenhang mit anderen Aussageebenen gibt es da sicherlich Mischungsverhältnisse, die nur noch schwer zu gewichten sind. 

Van Gogh, die Kartoffelesser


Als O''-Aussage meint Farbe ganz besonders die Farbe auf dem Bild und die Zusammenhänge, die dort farblich in Erscheinung treten. Hier ist seit dem Impressionismus, bzw. seit der Moderne das eigentliche Feld der Farbe in der Malerei. Hier werden dann auch die Darstellungstendenzen sichtbar, die die weitere Decodierung und die Bedeutungsstruktur des Einsatzes von Farbe bestimmt (s.u.). "Das was man malt, ist dem Maler, wie das Instrument, auf dem der Musiker seine Töne streicht." Nolde 29.8.40. Aber nicht erst in der Moderne gibt es so einen Farbeinsatz: "...der eigentliche Barock aber setzt erst ein, als man der Farbe grundsätzlich die Verpflichtung abgenommen hat, Klärerin und Erklärerin des Gegenständlichen zu sein. ..." (Wölfflin).

Kirchner, Herr mit Schoßhünchen im Café


Als O'''-Aussage soll die Farbe über die Rezeptionstendenz auf den Betrachter wirken. Die Farbe soll eine Wirkung, eine Empfindung hervorrufen, die den Betrachter eben über das Farberleben intensiv anspricht. Man kann zumindest für die moderne und zeitgenössische Malerei sagen, dass die Wirkung der Farbe das Primäre ist. Malerei ist  insofern in der Regel O''-O'''-orientiert. 

Das Feld der Werbung, der speziellen Farbwirkungen in Film  und Fernsehen, Design und Produktgestaltung sind die wesentlichen Formen dieser Aussageebene im trivialen bildnerischen Bereich.

T. Rothermel, Blau ansteigend, 1989


Als O''''-Aussage wird die Farbe zum Transportmittel für kulturelle Übereinstimmungen und Konventionen. Dazu gehören z.B. alle Wiedererkennungsmerkmale, Farbsymbole wie z.B. Fahnen, Modetrends etc. Auch der Einsatz von Farben als "Signalfarben" bei Verkehrszeichen z.B. (aber auch im geschlechtlichen Werbeverhalten) kann man der O''''-Aussageebene zuordnen.

Jasper Johns, American Flag,

Als O'''''-Aussage wird Farbe zur Umstimmung, zur Beeinflussung von Haltungen dahingehend verwendet, dass alte bzw. situativ bedingte Stimmungen aufgehoben, bzw. verändert werden sollen. Beispiele dafür: Kirche, auch "Rotlicht-Milieu", bestimmte Farbigkeit bei Licht- und Leuchtröhreneinsatz (zur Steigerung der Arbeitsmoral bzw. der Kauflust, was hier allerdings noch in den O''''-Aussagebereich im Sinne von Handlungsappell hereinragt. 


Als O''' '''-Aussage wird der Farbeinsatz kaum noch darstellbar. Nehmen wir den Negativ-Fall an, dass Farbe zur Persönlichkeitsänderung, zur völligen Manipulation verwendet wird, dann kann man sich dabei den Einsatz von Farbe nur noch als sekundär vorstellen. Es ist wahrscheinlich eher gar keine Farbe mehr vorhanden, Grau in Grau bis schwarz. im positiven Fall wird das Licht zum Bedeutungsträger für "Erleuchtung", das Weiß der Weisen, die Klarheit, die Helle des autonomen Geistes. Das Gelb der buddhistischen Mönche mag hier dazugehören, als Zeichen für den "langen Weg der inneren Läuterung".

Im manipulativen Sinn kommt dem Einsatz von Farbe auf der O''' '''-Ebene zu, dass veränderte Haltungen (O''''') zu einem Verhalten führen, dessen man sich selbst nicht fähig schien. 

Ursula Sax, Tor, 1978


 

   
Darstellungstendenzen und Farbe

Bei der Untersuchung der Farbkontraste hinsichtlich der Zeichenaspekte muss man zum einen die Farbkontraste danach untersuchen, welche abstrakten Zeichenaspekte diese repräsentieren. Zum anderen untersucht man dann auch die anderen modifizierenden Zeichenaspekte. Für die "normale" Wahrnehmung ist der modifizierende ZA sogar deutlich wichtiger, da wir ja von der Hypothese ausgehen, dass das Abstrakte eher "unterschwellig" wahrgenommen wird. Weiter kann es interessant sein, die Kontraste den Aussageebenen zuzuordnen, da diese ja ein mit ihr verbundenes ZA-Mischungsverhältnisse aufweisen, welches für die jeweilige Aussageebene charakteristisch ist.

Die Reihenfolge der Untersuchung ist nun folgende: 1. Die Bestimmung der verschiedenen Farbkontraste (nach der Systematik von Itten) unter dem abstrakten ZA. 2. Die wesentlichen Angaben zu dem Feld der existentiellen Konstanten, dann 3. die Untersuchung von weiteren relevanten Zeichenaspekten, die für den Kontrast von Wichtigkeit sind, und 4. deren Zuordnung zu den verschiedenen Aussageebenen.

Der Farbe-an-sich-Kontrast 1. Abstrakt stellt sich dieser Kontrast dar als das Nebeneinander gleichberechtigter Individualitäten. Es wird keinerlei Wertung keine Gewichtung der einzelnen Farben vorgenommen, alle haben ihren Platz, können in ihrer Eigenart wirken. 

Hermann Waibel

2. Dieser Kontrast repräsentiert somit eine Lebenssituation der Gleichheit und "Brüderlichkeit", des Anerkannt-Seins und der Hierarchielosigkeit. Die Buntheit des Lebens.

3. Zusätzlich zum abstrakten Zeichenaspekt verweist der Farbe-an-sich-Kontrast noch auf den ästhetischen Zeichenaspekt ("welch eine Freude, diese schönen Farben..."), und sicherlich auch auf den individualsymbolischen Zeichenaspekt, der darin besteht, dass man die Farben zusammenstellt, die man besonders "mag". 

4. Der Farbe-an-sich-Kontrast ist sicherlich auch der O-Aussage zuzuordnen (eben "bunt wie das Leben"), aber auch der O'''-Aussage ("lustig") ebenso wie der O''''-Aussage, wenn man daran denkt, wie z.B. Werbung häufig bunt daherkommt, und durch das zufällige Nebeneinander von Farbflächen (Autos, Häuserfassaden, Kleidung der Menschen auf den Strassen) immer eine bestimmte Buntheit entsteht.


Der Komplementärkontrast

 

1. Die kontrastierenden Farbelemente sind in ihrer deutlichen Unterschiedenheit, aber auch in ihrer Aufeinander-Bezogenheit als Einheit anwesend. Gemischt heben sie sich auf, verlieren ihre Individualität zugunsten der neutralen "Nichtfarbe" Grau. Ihre Kontrastwirkung ist als reine Farben am deutlichsten, wenn sie gegenseitig getrübt sind spricht man eher vom komplementärem Klang der Farben. 

Delaunay,

2. Das zweite Bild ist über den Rechner in seine Gegenfarben (RGB) verwandelt worden. Man hat so einen Eindruck von den jeweiligen Gegenfarben, aber auch davon, wie wenig man sich die Gegenfarben tatsächlich vorstellen kann. Physiologisch basiert der Komplementärkontrast wohl auf dem Wahrnehmungsphänomen, dass das Auge auf Grund der Funktionsweise der rezeptiven Felder der retinalen Neurone auch auf das Ausbleiben oder geringer werden eines Impulses Aktionspotentiale bewirkt (On- und Off-Bipolarzellen). So werden beim Wahrnehmen einer Farbe auch die nichterregten Rezeptoren (Zäpfchen) möglicherweise in Erregung versetzt und "fordern" gewissermaßen die Gegenfarbe. Wenn diese nicht durch den von außen kommenden Impuls aktiviert wird, dann kommt es zum Phänomen des Simultankontrastes (siehe unten) und auch zum Erleben einer wie Itten formuliert 'expressiven Farbstimmung' gegenüber einer 'Farbharmonie' in dem Fall, dass der von außen kommende Impuls auch die Gegenfarbe aktiviert. 

Mit dem Komplementärkontrast verbunden ist auch der Succesivkontrast, der ebenfalls auf der beschriebenen physiologisch-psychologischen Basis zu dem Phänomen der Nachbilder führt. Die sogenannte Lokaladaptation entsteht, wenn Bezirke der Netzhaut verschieden stark belichtet werden. 

Komplementärkontrast

Dieser Kontrast stellt sich insgesamt dar als der nur physiologisch wirksame und wahrnehmbare Farbzusammenhang der "Vollständigkeit". 

Als existentielle Konstante wissen wir vom dialektischen Prinzips des Zusammengehörens der Gegensätze, nur wo es ein 'unten' gibt, gibt es auch ein 'oben', das Außen bedingt das Innen und ohne Gut und Böse wäre unsere Welt ärmer. Unsere Phantasie ist zum großen Teil damit beschäftigt sich die Dinge vorzustellen, die es nicht gibt, bis dahin, dass dann das Nichtvorhandene einen höheren Grad an Wirklichkeit hat wie das Vorhandene. (Davon leben dann in der Regel die Psychiater...) 

3. Der Komplementärkontrast verweist somit neben dem Abstrakten auch auf das Feld des ästhetischen Zeichenaspekts, und sicherlich auch auf den tiefensymbolischen, dann, wenn die polaren Spannungen voll zum Tragen kommen, insbesondere bei Gelb-Violett. 

4. Der Komplementärkontrast ist stark der O'-Aussage und ebenfalls der O'''-Aussage zuzuordnen. Wegen des starken "Formulierungscharakters" auch einen deutlichen Bezug zur O''-Aussage.


Der Simultankontrast Simultankontrast

Der Simultankontrast bringt die Erregung und Anfärbung aller miteinander in Verbindung kommender Erscheinungen zum Ausdruck. Nichts bleibt unbeeinflusst, im Wechselspiel der aufeinandereinwirkenden Kräfte. Auch hier: das Intensivere, das Sattere überstrahlt das "Gebrochene": "Hinter jedem berühmten Mann steht eine Frau"..., "Cäsar überschritt den Rubikon. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?" Die ganze Geschichtsschreibung lebt von diesem Effekt. Und dennoch: Jede Diskussion, jede "Party" lebt vom Zusammenspiel aller Anwesenden, derjenige, der nichts dazu beiträgt, ist "langweilig" oder ein "Mauerblümchen". Und der, der das ganze Gespräch dominiert "der gute Erzähler", merkt gar nicht, wie er sich letzten Endes immer nur selbst wiederholt, unfähig etwas anderes an sich herankommen zu lassen. 


der Warm - kalt Kontrast 1. Der Warm-Kalt Kontrast ist ein polarer Kontrast, der durch Türkis und Orange am intensivsten repräsentiert wird. Wenn beim Farbkreis das Gelb oben und das Violett unten ist, dann liegt der polare Warm-Kalt Kontrast auf der Waagrechten durch das neutrale Grau. Die linke Seite des Farbkreises ist dann relativ kalt, die rechte warm. Gelb und Violett können somit sowohl relativ warm wie auch relativ kalt sein. 

polarer kalt-warm Kontrast

2. Diese Farbeigenschaften sind von der abstrakten Wahrnehmung her in ihrer Helligkeit und in ihrer Temperaturempfindung, die von den Erfahrungen Wasser/Kälte und Feuer/Wärme her kommen mag, physiologisch und psychologisch wirksam. Dass das Warme im Rot-orange uns näher erscheint als das Kalte, mag aus der Gefährdung durch Hitze und Feuer herrühren. Die unbestimmte Weite des blauen Himmels mag ein weiteres Element sein zur Erklärung der unklaren Distanzerfahrung beim Blau. Der Mensch reagiert physiologisch auf warme Farben anders als auf kalte. In einer roten Umgebung z.B. steigt der Blutdruck, in einer blauen sinkt er. 

3. Der Warm-Kalt Kontrast verweist neben dem abstrakten mit Sicherheit auf den tiefensymbolischen Zeichenaspekt. Aber auch auf den ästhetischen, wenn man die unterschiedlichen Distanzerfahrung mit in Betracht zieht. Der gestische Zeichenaspekt drückt sich in den physiologisch/psychologischen  Zustandsveränderungen aus.

4. Die Nähe zur O'-Aussage erscheint evident, ebenso wiederum zum O'''. 


der Hell - Dunkel Kontrast

1. Auch hier haben wie einen polaren Kontrast, der allerdings in seiner extremen Form unbunt ist. Im Weiß und im Schwarz haben wir das extrovertierte und das introvertierte Prinzip vor uns. Schwarz absorbiert alles, lässt nichts mehr an farbiger Erscheinung nach außen dringen, dadurch wird Schwarz jedoch energetisch angereichert, da es die Umwandlung von Licht in Wärme vollzieht. Es ist nach außen stumm; nach innen speichert es die Energie. Das Weiß hingegen reflektiert alles, es lässt nichts an sich herankommen, weist alles zurück, bleibt deswegen auch kühl. Das "geschwätzige" Weiß ist uns dennoch "näher" als das "stumme" Schwarz, wie die räumlichen Farbwirkungen zeigen. Wenn hier der Hell-Dunkel Kontrast unter dem Aspekt von Farbkontrasten untersucht wird, dann sehen wir hier auf die Wirkungsweisen ganz heller und ganz dunkler Farben. Helltrübung und "Dunkeltrübung". Das Helle, Freundliche von Pastellfarben und das Düstere, oder das edel im Hintergrund verweilende Dunkel. 

Die Abstraktion ist hier das Thema, auch das Abstrakte im polaren Gegensatz von Schwarz und Weiß. Der Hell-Dunkel Kontrast betont die Form als Kontrastgrenze. Es kommt so auch zum Wechsel der bildnerischen Variablen: vom Kontrast hin zur Form.

2. Der Hell-Dunkel Kontrast ermöglicht uns insbesondere die Form zu erkennen und die Plastizität der Gegenstände zu identifizieren. "Ja, Ja, Nein, Nein sei eure Rede, alles andere ist vom Übel" sagt Christus seinen Jüngern, "Schwarz-weiß Malerei" sagen die Kritiker einer undifferenzierten Darstellung eines Sachverhaltes. Die Unsinnlichkeit des Hell-Dunkel Kontrastes, insbesondere des reinen schwarz-weiß, hat kulturelle Auswirkungen in bestimmten Kleiderordnungen, in Begräbnisritualen, und natürlich im "schwarz auf weiß", was man getrost nach Hause tragen kann. Pastelltöne haben etwas Weiches, aber auch manchmal etwas Kühles an sich. "Italienische Eisdiele". die dunklen Farben haben eine gewisse Schwere, ein Geheimnis, Ernst. 

3. Auch hier schwingt wie beim warm-kalt Kontrast der ästhetische und der tiefensymbolische Zeichenaspekt mit. Über die Formerkennung und die Plastizität kommen noch der ikonische und auch der indexalische Zeichenaspekt zum Tragen (Schatten). Über Techniken wie Photografie und diverse Drucktechniken wird das Hell-Dunkel auch vom sprachsymbolischen Zeichenaspekt besetzt. 

4. Wegen des deutlichen Verweises auf Realitätsstrukturen hat der Hell-Dunkel Kontrast deutliche Affinität zur O-Aussage. Über die "technische Komponente" hat der Hell-Dunkle Kontrast auch starke Bezüge zur O''-Aussage. Über den tiefensymbolischen Zeichenaspekt kommt auch die O'''-Komponente hinzu. die oben beschriebenen gesellschaftlichen Ausformungen bewirken eine O''''-Affinität. 

Der Qualitätskontrast

 

1. Das Leuchtende und das differenziert Farbige (Farben dritter Ordnung), Plakatives und Nuancenreiches sind her die Kontrahenten.  Die reine Farbe mit ihrer ganzen Klarheit, Präzision und Fülle gegenüber dem mit allen Nuancen Angereicherten, dem Zwiespältigen, dem Mehrdeutigen. Die Farbperspektive macht, dass reine Farben eher nach vorne kommen, getrübte Farben im Hintergrund bleiben. Der Qualitätskontrast kann auch eine Nähe zum Hell-Dunkel Kontrast aufweisen, wenn die getrübten Farben eher der dunklen Palette, die reinen, leuchtenden Farben eher dem hellen Spektrum entstammen. 

Kurt Schwitters

2. Das Unvermischte, oder aus genau bestimmbaren Komponenten sich Zusammensetzende der leuchtenden Farben entspricht dem Prinzip des "Reinrassigen", und wenn man damit auch noch den Begriff der "Qualität" verbindet, sind wir im Grunde genommen in einem ganz schönen ideologischen Sumpf. Dennoch scheint das Prinzip der Reinheit, des Unvermischten etwas von Grundsätzlichkeit aufzuweisen: Ein klarer Gedanke ist ebenso unvermischt, wie eine klare Entscheidung, zwischen den Arten in der Natur herrschen strenge Grenzen der Vermischbarkeit, und der Purist liebt am meisten das reine Gold. Vom Vermischten sagt man, dass es nicht so langweilig sei, die sympathische "Promenadenmischung" die "Gewürzmischung", die das Essen so besonders schmackhaft macht, auch das faszinierende Zappen am Fernseher verführt zum Mischen aller möglichen Impulse, das "Mischpult" selbstverständlich miteingeschlossen. Es ist hier wie im Zweiklassensystem: die Oberschicht, die sich nicht mit der Unterschicht vermischen darf, weil sie sonst nicht mehr unterscheidbar ist, und im allgemeinen nuancenreichen Braun der einfachen Leute untergehen würde. Auch der Begriff der "Farbsättigung" gehört ideologisch gesehen hier hinein: richtig satte Leute findet man vorwiegend in der Oberschicht.... Außerdem: das Reine tritt in den Vordergrund, das "unreine" hält sich im Hintergrund. Und: je näher man sich kommt, desto mehr gleicht man sich aneinander an...

3. Der Qualitätskontrast wirkt sehr stark vom ästhetischen Zeichenaspekt her, die nuancenreichen getrübten Farben sind sehr "ansprechend", "reizvoll". Das Ikonische wird wenn auch weniger, so doch über die Farbperspektive aktiviert. Die Affinität zum Hell-Dunkel Kontrast kann auch Tiefensymbolisches zum Klingen bringen. 

4. Im Bereich der Aussageebenen sind wieder alle Möglichkeiten offen: Farbperspektive lenkt je nach dem auf die O-Aussage, die ästhetische Komponente auf O' und O''', aber auch auf O''. O'''' kann über bestimmte Modetrends, über Innenarchitektur über Gartengestaltung und Ornament zum Tragen kommen. Das "leuchtend-Gute" und das "dunkle-Böse" in der Nähe zum Hell-Dunkel kann auch im Sinne einer O'''''-Aussage gestaltet werden. Vielleicht hat sogar das rembrandtsche Hell-Dunkel hier seinen Platz.

Der Quantitätskontrast

1. Beim Quantitätskontrast geht es um Mengen und um Größen. Es geht um den Versuch, zwischen diesen Größen "Harmonie" oder "Disharmonie" festzustellen. Harmonische Verhältnisse sind: Grün zu Rot = 1:1; Blau zu Orange = 2:1; Violett zu Gelb = 3:1. Im Gegensatz zur Harmonie steht dann der Begriff des Expressiven. Expressives als "Disharmonisches", ein Element hat die Oberhand, drückt dem anderen seinen Stempel auf. Anders als beim Simultankontrast: Jener lässt ganz unbemerkt das andere Element von seinem Schein etwas abhaben, beim expressiven Quantitätskontrast wird sichtbar, welche Richtung das Sagen hat. Und dann der zweite Aspekt des Quantitätskontrastes, auch nicht gerade "demokratisch": Das ganz Kleine, das umso leuchtender im Ganzen erscheint - allerdings muss es auch leuchten.

Matisse

2. Dahinter steht die Frage nach dem gerechten Ausgleich in Harmonie. Ohne dies wäre die Frage nach dem Quantitätskontrast unsinnig. Es wäre nicht festzustellen auf was hin die verschiedenen Größen miteinander korrelieren. Es muss das Feld mit den verschiedenen Stimmungen ausgewogen sein. Es ist ein dialektischer Ausgleich: Freude und Trauer, Glück und Pech ergänzen sich. Sind sie in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander, dann ist es gut. Dominiert das eine, dann geht es uns schlecht. Und dann gibt es auch das Erleben eines ganz kurzen, leuchtenden Moments, der einen über lange Strecken hinweg trägt. Ein Regenbogen, ein plötzlicher Sonnenstrahl, ein Lächeln. Wenig, und doch ungeheuer wertvoll.

3. Das Expressive des Quantitätskontrastes verweist sofort auch auf die tiefensymbolische Dimension, die anderen Tendenzen kommen zum Abstrakten eher nicht hinzu. 

4. O'-, O''- und O'''-Aussage erscheinen die logischen Aussageebenen für diesen Farbkontrast.

   
Schlussbemerkung:

Ich habe versucht, die Farbkontraste unter dem Aspekt des Abstrakten zu fassen, den ich hier auch exemplarisch ganz direkt auf den Menschen bezogen habe. Nicht ohne Grund ist vielleicht die Farbe einer der wirksamsten künstlerischen Mittel, da sie möglicherweise in der Lage ist, über ihre abstrakte Qualität menschliche Verhältnisse direkt abzubilden. In den Farbkontrasten zeigen sich offenbar sowohl individuelle wie auch soziale Zusammenhänge.

Der Farbe-an-sich Kontrast, der dem Individuellen den größten Raum lässt, dann 

der Komplementärkontrast, der die dialektische Einheit der Gegensätze, vielleicht Mann und Frau, Kind und Erwachsener, etc. abbildet, zusammen mit dem Succesivkontrast dabei auch den Blick lenkt auf die eigene Wahrnehmung.

Als dritter Kontrast bildet der Warm-Kalt Kontrast die psychische Komponente ab: Die zeitlich/räumliche Eingliederung in die Rhythmen des Tages, der Tageszeiten und des Lichtwechsels und die damit verbundene Wärme/Kälteempfindung mit den entsprechenden Aktivitäten.

Dann der Hell-Dunkel Kontrast, der dies noch steigert, aber auch sehr elementar und rational auf den Nuancenreichtum der Farben ganz verzichten kann. Die Abstraktion verweist auf Ikonisches, also auf Wiedererkennen und Orientierung.

Der Qualitätskontrast zeigt auf das soziale Feld: Die Leuchtkraft dessen, der die anderen überstrahlt. "Der Chirurg braucht den Patienten, sonst wäre er nichts in seiner ganzen Studiertheit..."

Der Simultankontrast, der die Einbindung in das Kollektive abbildet, und dann

der Quantitätskontrast, der zwischen den unterschiedlichen Kräften und Richtungen einen Ausgleich schaffen will, der das Kräftespiel kontrollieren und in die gewünschte Richtung lenkt.

Dazu ist das ganze Farbenspiel unter dem Gesichtspunkt zu sehen, dass alles zusammengehört, trotz aller Widersprüche das Ganze nur im Spiel aller Farbkräfte ein "Bild" ergibt. Ich möchte hier auf den albernen Spruch "Wir sitzen alle in einem Boot" gerne verzichten. Interessant ist dabei die Kinderzeichnung: Hier dominiert häufig der Farbe an sich Kontrast, das eigentlich Bunte des Lebens und auch die Gleichberechtigung. Da kann man von den Kindern noch was lernen hinsichtlich Unterschied und Gleichheit.

 

 
Zum Phänomen Farbe - Lektion 10

Begriffe im Kontext mit 'Farbe'

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