Wenn man für die eigene Praxis die Zeichenkritische Theorie anwenden möchte, muss man sich sicherlich mit einigen grundsätzlichen Überlegungen beschäftigen.
In der Praxis beginnt das Interesse an der Zeichenkritischen Theorie mit den Darstellungstendenzen. In der Regel hat man sein Motiv schon längst entwickelt, man weiß "worüber" man etwas aussagen will, und man hat sein "Markenzeichen" eben auf Grund seines spezifischen Aussagemodus.
Der Anfänger, der Schüler, der Student und Kursteilnehmer kann mit diesem Instrumentarium dann etwas anfangen, wenn er selbst Lust daran hat, etwas über die eigene Arbeitsweise zu erfahren und möglicherweise seine Herangehensweise zu überprüfen. Die Zeichenkritische Theorie ist kein Lehrbuch im Sinne "Wie zeichne ich richtig" sondern ist ein Werkzeugkasten für Do-it-your-self Fanatiker.
Grundlage für diese Selbstannäherung ist die Erkenntnis, die bisher niemandem verborgen geblieben ist, dass es gar nicht so einfach ist, seine eigenen Bilder richtig einzuschätzen. Sich von einem Lehrer sagen zu lassen, wie man es machen soll, ist auch nur eine halbe Sache, will man ja eigentlich nicht dessen Bilder malen. Natürlich braucht man Lehrer, man braucht die Klärung der eigenen Position durch die gesicherte Position eines anderen. Das haben alle die studiert haben erfahren und sicherlich auch genossen. Aber der Prozess der Positionsfindung und -bestimmung geht ja das ganze Leben weiter.
Man will z.B. ein Bild machen, welches einem bestimmten Vorbild entspricht. Man hat sich ein Ziel gesetzt, und dieses muss unbedingt erreicht werden. Erreicht man es, ist es ja gut. Erreicht man es aber nicht, dann wird man bald das Bild schlecht finden und es weglegen. Vielleicht erst nach Jahren, wenn man "vergessen" hat, was man wollte mit dem Bild, wird man die wahren Qualitäten erkennen und das Bild plötzlich als sehr gelungen einschätzen können. Auch das Gegenteil ist möglich: man projiziert (in der Regel individualsymbolische Elemente) in das Bild hinein, die sonst kein anderen kapiert, findet es deswegen ganz brauchbar, und ist dann überrascht, wenn niemand einen versteht. Nach einiger Zeit, wenn man in der Lage ist, das zu sehen, was tatsächlich auf dem Bild drauf ist, erkennt man, dass viele Dinge unverständlich bleiben müssen.
Man kennt die Künstler, die einem lang und schlapp "erklären", was dieses und jenes auf ihren Bilder "zu bedeuten" habe, und man dann wohlwollend das Bild auch versteht. Man kann so etwas zur Geheimsprache umfunktionieren, dann muss man aber sicher sein, dass die anderen Darstellungstendenzen noch genügend zu bieten haben, dass der der Individualsymbolik Unkundige, dennoch zu seinem Recht kommt. Häufig sind Überladungen mit Individualsymbolik ein Zeichen von Naivität oder Eitelkeit.
Ähnlich kann es mit der tiefensymbolischen Darstellungstendenz sein: Man sieht "selbstverständlich" die eigene tiefensymbolische Welt überhaupt nicht, da sie ja eben als sozio-parentale Kommentierungsebene eine ganz besondere Präsenz hat. Man wähnt sich völlig "objektiv", und ist doch völlig verstrickt in die eigene unterbewusste Weltvorstellung. So, wie man selbst die Welt und das eigene Verhalten in dieser Welt wahrnimmt, kommt es einem völlig "normal" vor.
Beim Künstler kommt erschwerend hinzu, dass die Umwelt das etwas "eigenartige" Verhalten eines Künstlers oft toleriert, eben weil er ja ein Künstler ist. Somit hat man in der Regel auch nicht das Korrektiv, das ein anderer Mensch hat, z.B. im normalen Alltag, dem dann vielleicht gekündigt wird, wenn er sich sonderlich aufführt. Ein Künstler wird in seiner "Sonderlichkeit" noch bestätigt, hält die mögliche Ablehnung oder auch Zustimmung für einen Beweis seiner eigenen Richtigkeit.
Es liegt mir ferne hier einer wie auch immer gearteten "Normalität" das Wort reden zu wollen, es kommt mir nur darauf an zu zeigen, wie unterbewusste Weltvorstellungen durch gesellschaftliche Normen dem Künstler verborgen bleiben können. Wenn man über seine Motivationen im tiefensymbolischen Bereich Aufschluss erhalten will, ist das Bild ein ungemein guter Indikator für diese Ebene. Es dient deswegen in gleicher Weise den Psychologen als Schlüssel für das Verständnis "eigenartiger" Weltvorstellungen bei psychisch Kranken, wie es den Therapeuten hilft, z.B. über "Maltherapien" an bestimmte unterbewusste Welten heranzukommen.
Sicherlich ist auch richtig, dass die Energie, die von der tiefensymbolischen Ebene ausgeht, manchmal durch rationales Verständnis gar nicht angetastet werden sollte, weil sonst die Kraft des Ausdrucks damit zugrunde gehen kann. Das Tiefensymbolische ist ein wertvoller Motor der bildnerischen Arbeit. Jeder muss also selbst entscheiden, welche Wege er beschreiten will, um an diese Quellen heranzukommen, ob er sie im "kreativ" Dunklen belassen will, oder ob er sie im Aufdecken ihrer Struktur vielleicht noch intensiver nutzen kann, oder vielleicht sogar dadurch freier wird für seine "eigentliche" Aufgabe.
Dennoch ist es auch für den Profi schlicht und einfach interessant, sich den eigenen Aussagemodus bewusst zu machen. Für den Anfänger, der sich erst langsam im Gestrüpp der Intentionen durchlavieren muss, der natürlich "ganz genau weiß, was er will", und der "sich von niemandem dreinreden" lässt, kann es interessant sein, selbst sich seine Position, die er im gegenwärtigen Kunstgeschehen einnimmt zu vergegenwärtigen, und dieses mit dem zu vergleichen, was er für sich selbst als Position beansprucht. Und sei es nur darum, sich im Kunstmarkt eine "bessere" Position zu erarbeiten.
Wenn die Aussageebenen, die man selbst für sich beansprucht, eher leichter zu durchschauen sind, (Obwohl die O'-Dominanz hier natürlich uns auch ein "Schnippchen" schlagen kann) ist dies bei den Darstellungstendenzen anders. Man hat hier durch das Übergewicht der Individualsymbolik im Zusammenhang mit der Tiefensymbolik meist eine Darstellungsweise, deren Struktur man kaum selbst einschätzen kann. Die Tiefensymbolik gibt einem Antriebe sich in einer bestimmten Weise auszudrücken, eine Weise, mit der man die eigenen tiefensymbolischen Strukturen entweder "ausleben" oder "bändigen" will. Die Individualsymbolik macht aus diesen Zusammenhängen das System, das für die eigene Wahrnehmung sowieso "stimmt", eben weil man sich in seiner Identität darin wiederzuerkennen glaubt.
Die Zeichenkritische Theorie kann man für die eigene Praxis anwenden, um für sich selbst Klarheit darüber zu erlangen, wie die eigenen bildsprachlichen Äußerungen, also Formulierungen, mit dem korrespondieren, was man selbst "eigentlich" will. Sehr häufig sind da Welten dazwischen, wie jeder aus eigener Anschauung und Erfahrung kennt. Das liegt ganz einfach daran, dass O' von O'' verschieden ist, Durch die unterschiedlichen Rezeptionstendenzen - eben auch dem eigenen Bild gegenüber - sieht man Dinge in das Bild hinein, die gar nicht vorhanden sind. Dadurch entspricht auch das "Feed-back", welches man erhält, wenn man ein Bild prüfend anschaut, häufig nicht dem , was tatsächlich auf dem Bild "drauf" ist. Dieses Feed-back hat die Funktion eines O''', insofern es ja uns als ein "Fremdes" entgegenkommt, welches wir daraufhin überprüfen wollen, ob es mit dem übereinstimmt, was wir mitteilen wollten. Stimmt es vermeintlich nicht überein, wird "verbessert", "korrigiert", auf Teufel komm raus, und wir sind unfähig die Botschaft zu erkennen, die das Bild vielleicht "ohne unser Zutun" (natürlich haben wir es getan, aber eben nicht intendiert) ganz selbstverständlich in sich trägt. Wenn wir das Glück haben, dass ein Lehrer, ein Kollegen bei uns ist, der uns zum innehalten auffordert, sind wir häufig froh, das Bild nicht zugemalt zu haben.
Wenn man mit der Darstellungsweise etwas "bezeichnet", sagt man einem Rezipienten "nichts Neues", da er ja selbst unmittelbar Zugang zu dem hat, was im Bild ausgedrückt werden soll. Das Bild sagt es nur präziser, komprimierter, so dass damit der Rezipient seine eigen Weltwahrnehmung daran erproben und möglicherweise verändern kann.
Bezeichnungsweise und Aussagemodus:
Sieht man diese Darstellungsweise (ästh-gest-index-abstr) auf die unterschiedlichen Aussageebenen hin bezogen, so sind die Inhalte des Bezeichneten bei einer O-Aussage relativ einfach darzustellen.
zum Ästhetischen: Man versucht (natürlich in gewisser Weise ikonisch) ästhetische Momente der Realitätserfahrung so im Bild zu erfassen, dass dieses selbst wieder in der ihm eigenen Qualität, diese Momente sichtbar machen kann. Man akzentuiert dann die ästhetische Darstellungstendenz. Beispiele findet man in Lektion 10.
Das Gestische taucht nur in Beziehung zu O' auf, wie unten ausgeführt werden wird, das Indexalische ist das situativ selbstverständliche, und das Abstrakte bezieht sich auch wieder auf O' und O''' als den existentiellen Konstantren, die allerdings in der Realität selbst auch überall in Erscheinung treten. Deswegen sind bestimmte bildnerische Variable auch in der Lage, objektive Realität abzubilden, insbesondere bei den Variablen "Form", bis "Lage".
(Allerdings muss man z.B. sehen, dass "Figur-Grund" schon wieder eine auf O' hin orientierte Variable ist, denn sie zeigt auf, was aus der menschlichen Sichtweise Figur und was Grund ist. Da ist es bei einer Variablen wie der "Senkrechten" anders, denn das Senkrechte bestimmt sich nicht allein über den menschlichen Blick.)
Was heißt das, wenn für eine O-Aussage (auf der Bezeichnungsebene) die ästhetische und die abstrakte Darstellungstendenz eine besondere Rolle spielen? Was heißt das für die eigene Praxis?
Wir sind hier natürlich beim grundsätzlich Bildnerischen angelangt: die (welche auch immer) kompositorischen Entscheidungen, in Zusammenhang mit einer Fülle von angenehmen Reizen, die dem Auge Aufmerksamkeit entlocken verbinden uns als Rezipienten mit dem Topos der Realität mehr denn die symbolischen Elemente, vor allem die der Ikonizität. Das Ikonische bekommt erst über das Abstrakte und das Ästhetische seine eigene Qualität. "Abzeichnen" kann deswegen nie zu einem künstlerischen Ergebnis führen, die Millionen von Aktzeichnungen in Volkshochschulkursen ebenso wenig. Erst über den ästhetischen und abstrakten Einsatz der bildnerischen Mittel kommt es etwas, was einen selbst und den Betrachter ins Kribbeln bringt. Und man kann noch etwas anderes erfahren: Die so vernachlässigten Bezeichnungsebenen haben eine ganz wesentliche Aufgabe bei der Bildgestaltung. Jedem ist erst einmal die Bedeutung wichtig, so als wäre in der Konvention von Zeichensystemen das Wesen des Künstlerischen zu finden.
Zur O'-Aussage:
Das Ästhetische eignet sich wiederum nicht so sehr für eine Bezeichnungsfunktion der eigenen Befindlichkeit. Allenfalls in Zusammenhang mit der Individualsymbolik, Colette z.B. mit ihrem Glitzerkram macht ein riesen Brimborium um sich auf dem Bereich des Ästhetischen. Also, man kann es schon, es ist aber dann eher "aufdringlich", wie wenn man zu viel Schmuck anhat, oder das Parfum alles übertüncht.
In Gesprächen mit Schülern tauchte immer wieder die Verwechslung auf, dass Gestisches, welches man in der Realität erlebt, (der "Ausdruck" eines Gesichts, der Schwung einer Handlung, der Moment einer Relation zwischen zwei Menschen - Rückkehr des verlorenen Sohnes von Rembrandt z.B. -) dann auch in der Darstellung das Gestische im Sinne der gestischen Darstellungstendenz zum Ausdruck bringen würde. Dem ist natürlich nicht so. Ein in der Realität erlebter Gestus, eine erlebte Handlung wird durch die ikonische Darstellungstendenz und dazu durch die tiefensymbolischen Rezeptionstendenz zum Ausdruck gebracht. Sicherlich spielt auch der abstrakte Zeichenaspekt dabei eine Rolle. Das ikonische Wiedererkennen von Handlungen und von seelischem Ausdruck spielt sich vielfach über empathische Fähigkeiten der Wahrnehmung ab. Die Identifizierung mit dem Gegenüber - in der frühkindlichen Phase gelernt - ist Grundlage dafür, dass wir das Faszinierende eines Ausdrucks, einer Gebärde lesen können. Die gestische Darstellungstendenz drückt ausschließlich die Stellungnahme des Künstlers zu seinem Motiv ab, sei es im informellen Gestus, sei es in der Schraffur einer altmeisterlichen Zeichnung.
Indexalisches im Bereich der Befindlichkeit geht auch nicht so gut, allenfalls über Biografie eben, dann sind wir aber fast schon bei der Individualsymbolik. Biografisches, was als selbstverständlich vorausgesetzt wird, also im Bild als Motivelement gar nicht auftaucht, wo soll man da suchen? Wenn ein Künstler so ein Spektakel um sich herum machen kann, dass man "sowieso" alles kennt, was ihn angeht, also mit seiner Selbstmythologisierung gut vertraut ist, dann kann man wohl auch das Indexalische der O'-Ebene ausmachen. Bei Baselitz vielleicht, auch bei Beuys, diese und andere haben sich selbst so gut inszeniert, dass man "einfach weiß" worum es z.B. beim Filz geht...
Abstraktes um den O'-Bereich darzustellen? Da das Abstrakte auf Grund unserer Definition das "allgemein Menschliche", also die existentiellen Konstanten darstellen kann, ist diese Tendenz auch wenig geeignet, um individuelle Befindlichkeit zu bezeichnen. Vielleicht bei der Land-Art: Die Markierung des Ortes, an dem man sich befunden hat. Aber natürlich müsste man hier weiterdenken. Das sind die Felder, die die Anwendung der Zeichenkritischen Theorie für die eigene Praxis spannend machen.
Beim O'' haben wir dann wieder eine Fülle von Bezugspunkten, die etwas bezeichnen können: Alle Ebenen stehen hier zur Verfügung: interessante Erscheinungsformen entwickeln im "Experimentieren", als ästhetische und gestische Ausdrucksweise, die "Technik" als indexalischer Aspekt, die technischen Variablen als abstraktes Bezugsfeld für O''-Aussagen.
Wenn man das "Produktionsdreieck" (O - O' - O'') verlässt, also das, wo der Künstler, tatsächlich etwas "machen" kann, wo er Aussagen auch steuern, und sie so gestalten kann, dass sie seiner Intention entsprechen, ist er beim Bezug auf den Rezipienten immer von dessen Rezeptionsintention abhängig. Die O'''- bis O''' ''' - Aussageebenen sind immer dadurch gekennzeichnet, dass man als Künstler zwar gerne "wollte", dass bestimmte Dinge so und so gelesen werden, aber ob dies tatsächlich eintritt, kann man nur wünschen und hoffen. Wir erleben dies bei jeder Kritik, die man zu einer Ausstellung erhält, bei jedem Abwinken eines Galeristen, wenn man ihm die Mappe zeigt...
Will man sich auf die Aussageebene der Wirksamkeit (O''') einlassen, dann muss man dem Empfänger bestimmte Wahrnehmungsweisen unterstellen. Im ästhetischen Bereich ist ein Überraschungseffekt im Kontext all der visuellen Reize notwendig. Man muss also den berühmten eye-catcher aktivieren, muss etwas "Besonderes" zum Ausdruck bringen. Der Rezipient muss dazu hin neugierig werden auf die "Mache". Im Indexalischen Bereich muss er es "zuordnen können". Das Abstrakte ist selbstverständlich. (Aber der Künstler muss dieses dann auch beherrschen.)
O'''': Die kulturelle Identität des Rezipienten muss über alle Bezeichnungsebenen repräsentiert sein. (Affirmation der "Zielgruppe").
O''''' und O''' ''': logischerweise geht es hier nur noch über den Motivbereich, der dann im Sinne des bisher Besprochenen gestaltet sein muss.
Bedeutungsweisen und Aussagemodus
O: Will man als Aussageebene die Realität "bedeuten", steht das Ikonische an erster Stelle. Hier passieren die ganzen wunderbaren Dinge, wenn Menschen entzückt sind, dass etwas "so toll gemalt" ist, wie ein Wunderlich, ein Dali, ein Bruno Bruni. "Es ist wie echt".
Beim O' ist das Zentrum des Bedeutungsvollen die Individualsymbolik. Hier kann sich der persönliche Stil entfalten, und man kann allerlei Brimborium um die eigene Person entwickeln. Selbstinszenierung ist hier angesagt, immer mit einer besonderen Mütze rumlaufen kommt gut, und wenn einen die Verehrer suchen, sollte man immer in der Szene anzutreffen sein. Natürlich muss man sich auch rar machen, damit es nicht so aussieht, als würde man von den anderen abhängig sein.
Das wesentlichere Feld der O'-Aussage, ist die Tatsache, dass es immer um die eigenen Position geht. Eine Position, die man häufig selbst immer wieder neu bestimmen muss, die im steten Austausch mit den Positionen der anderen steht, und die auch die Auseinandersetzung braucht. Auseinandersetzung im doppelten Sinn: einmal als Distanznahme von anderen, (auch Gruppe von Gruppe), aber eben dazu im Sinne des daraus möglichen Dialogs, der die Blickwinkel der unterschiedlichen Positionen mit einander konfrontiert. Das geht zum einen über die Arbeit selbst - aber eben auch über das Gespräch. Diese Kultur liegt zur Zeit insgesamt außerordentlich brach. Das Gespräch unter Künstlern findet in der Regel nicht mehr statt. Man schaut sich gegenseitig auf die Bilder, schaut, was man selbst davon für die eigene Arbeit funktionalisieren kann, hat entsprechende kritische oder freundliche Bemerkungen parat, und das war es. Man überlässt die sprachsymbolische Einbindung wieder einmal den Fachleuten, und wundert sich dann total, dass diesen die eigene Position nicht passt.
Es gibt zaghafte Versuche zwischen Kollegen das Gespräch zu suchen, gegenseitige Atelierbesuche, und man merkt dann immer, wie viel intensiver man versteht, wo die bildnerische Position des anderen ist. (Und möglicherweise auch die eigene!) Wenn man sich z.B. gegenseitig Ausstellungen eröffnet, hat man die Chance, sozusagen "offiziell" den Kollegen nach seinem Weg zu fragen, man bekommt dann meist ganz andere D9inge zu hören, als die, die man sich selbst vorgestellt hat.
Natürlich muss ein Bild auch ohne biografisches Hintergrundswissen, ohne die persönliche "Erklärung" auskommen. Wenn ein Bild darauf angewiesen ist, ist die Arbeit im Zweifelsfall schlecht. Manchmal auch einfach "Kult". Oder eben der Ausdruck einer künstlerischen Konzeption, die man seit der Documenta V alle unter den wunderbaren Oberbegriff "individuelle Mythologien" subsumieren kann.
Was schreibt unsere allgemein geschätzte Karin Thomas darüber? "... Den Individuellen Mythologien, zu denen die Documenta V Künstler wie Paul Thek, Christian Boltanski und Etienne Martin, sowie den Beuysschen Besucherraum für Demokratie und Byars Visualisierungen rechnet, ist ein ureigener, geistiger Raum gemeinsam, 'in dem ein Einzelner jene Zeichen und Signale setzt, die seine Welt bedeuten' (Szeemann). Die individuelle Mythologie manifestiert ein neu erlebtes und erprobtes Individualitätsbewusstsein innerhalb der Gesellschaft."
Das Tiefensymbolische gehört natürlich ebenfalls zur eigenen Positionsbestimmung. Gerade der Künstler, dem die unterbewussten Regionen der Phantasien ganz nahe sind, erlebt manchmal bis hin zum Rausch und der Erschöpfung die Nähe dieser Welt. Man braucht nicht unbedingt dabei nur an Van Gogh zu denken. Aber bei ihm ist dies bereits so zum kulturgeschichtlichen Topos geworden, dass man gar nicht mehr daran vorbeikommt.
Das Tiefensymbolische hat aber gegenüber dem Individualsymbolischen den Unterschied, dass es hier auch Gemeinsamkeiten gibt. Die Psychologie unterscheidet mal "Lebensstile", mal "Grundcharaktere", mal "Temperamente" und macht damit deutlich, dass es bestimmte Symptomatiken gibt, die immer wieder auftauchen. Von daher gibt es natürliche Affinitäten, die die Bereitschaft aufeinander zuzugehen fördert oder auch erschwert.
Ikonizität und Sprachsymbolik entziehen sich der eigentlichen O'-Aussage, da diese nur im Zusammenhang, also in der "individuellen Collage" persönlichkeitstypische Merkmale aufweisen.
O'': Die Formulierung selbst als Bedeutungselement aufzufassen geht nur über den Umweg einer "sekundären Bedeutungszuweisung". Das "Konkrete Bild" als auf sich selbst verweisende Ikone, und die tiefensymbolische Wirkung von Gestaltungsmöglichkeiten, insbesondere der Farbe, sind hier vielleicht ausgenommen. Formulierungen werden normalerweise über sekundäre Bedeutungszuweisung sprachsymbolisch definiert. Jede Stilbezeichnung ist dafür ein Beleg.
Bei einer O'''-Aussage kann man natürlich allerhand "bedeuten". Da der Rezipient, also auch die lieben Kunden und Sammler, natürlich auf "Bedeutungsvolles" aus der Hand eines Künstlers nur so lechzen, kann man hier Futter geben noch und nöcher. Natürlich sind auch die Kunstinterpreten - man weiß inzwischen, wie sehr ich sie liebe - daran interessiert, von uns mit Bedeutungsvollem verwöhnt zu werden. Zumindest muss man ihnen soweit entgegenkommen, dass sie dann ihre eigenen Deutungen daran ohne viel Aufwand weiterentwickeln können. Sozusagen Halbfabrikate im Bedeutungssinn.
Im tiefensymbolischen Bereich findet man seine Freunde und Sammler in der Affinität der tiefensymbolischen Systeme. Wenn jemandem ein Bild "gefällt", dann wird es schon in gewisser Weise auch eine affirmative Ebene besitzen. Ikonizität und damit das Etikett "der kann malen" ist auch gerne gesehen bei unseren Kunden, allerdings muss es auch der Individualsymbolik des Rezipienten genügend Spielraum lassen für eigene Projektionen. Ein bisschen rätselhaft, ein bisschen vage, Tiefes vermuten lassend muss ein Bild daherkommen, damit der Käufer auch denkt, er habe selbst Anteil an diesem 'Tiefen', an diesem Geheimnis, weil er es ja jetzt über dem Sofa hängen hat.
Und Sprachsymbolisches kommt auch immer gut, besonders jetzt in diesen post-postmodernen Zeiten, wo die meisten erst mal bei der Moderne angekommen sind. Aber wenn wir jetzt auf die Moderne rekurrieren - oder natürlich auch auf wesentlich frühere Kunstrichtungen -, liegen wir deshalb ja goldrichtig. Und können uns im Kanonischen tummeln. (Ach ja, Kunstforum International 162)
Wursteln wir uns hin auf die O''''-Aussageebene. Hier sind wir auf der Bedeutungsebene voll im sprachsymbolischen Terrain. Natürlich mit Ikonizität gepaart. Individual- und Tiefensymbolik haben hier nichts verloren. Wir schöpfen aus dem Symbolbestand des ganzen kulturellen Netzes. Angefangen von Mona Lisa (Picabia) bis hin zu Lichtensteins Picasso-Paraphrase.
Schlussbemerkung:
Das sind natürlich nur ein paar kleine Gedankensplitter, teilweise sicherlich unangemessen, meiner eigenen Befindlichkeit gemäß, beleidigend ebenso wie erhellend teilweise. Drohbriefe bitte hier:
Dieses Kapitel kann ich relativ schnell abhaken: hier geht es darum, wie die Rezipienten auf unsere Arbeiten reagieren können, und wie wir damit selbst umgehen können. Man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass ein Bild, welches verkauft ist, sowieso einen nicht mehr interessiert, allenfalls für eine Retrospektive. Auch der Käufer kann einem gestohlen bleiben, kennt man ihn ja nur in den seltensten Fällen. Bei Sammlern ist das anders, die wollen eher den engen Kontakt, den Austausch.
Man kann grundsätzlich davon ausgehen, dass der Rezipient (auch der Kunstjournalist oder der Kunsttheoretiker) das, was man sagen will eher nicht versteht. Natürlich versteht er etwas, er versteht die Zeichenaspekte, die etwas bezeichnen, und wenn er über die entsprechenden Kenntnisse verfügt versteht er auch die tiefensymbolischen und sprachsymbolischen Aspekte. Aber in der Regel lebt der Rezipient davon, dass er - nicht zu knapp - die eigenen Vorstellungen auf das Bild projiziert.
Ist ja auch legitim, wenn er es sich kauft. Anders ist es dann, wenn wir für die Öffentlichkeit auf die Interpretation von anderen z.B. Feuilleton-Journalisten angewiesen sind. Dann ist das schon sehr ärgerlich, wenn uns da jemand "verreißt". Schlimm ist es dann, wenn dadurch Interpretationen in die Welt gesetzt werden, die unseren Intentionen entgegenlaufen. Vielen Künstlern ist auch dieses egal, Hauptsache, man wird überhaupt zur Kenntnis genommen.
Aber man kann die "Kritik" auch als "heteromorphes" Gespräch auffassen, als Gespräch auf unterschiedlichen Sprachebenen. Und wenn man selbst an die Öffentlichkeit geht mit seinen Arbeiten, dann ist es auch legitim, dass der Journalist öffentlich etwas über das eigene Werk schreibt. In so einem öffentlichen Dialog hat meist der Kritiker das letzte Wort, wir verziehen uns in unser Atelier zurück und schmollen vor unserem nächsten Bild.
Anders: nimmt der Kritiker sich selbst und unsere Arbeit ernst? Hat er auch das Bewusstsein davon, dass das, was er von unserer Arbeit versteht nur lückenhaft ist? fragt er nach? Wie viele Kritiker haben mit uns schon in der Kneipe gesessen und uns nach unserer Arbeit gefragt? Sehr wenige. Kritiker haben meist das Selbstverständnis, die Dinge sofort richtig zu sehen, und machen Ihren Blick zum Maßstab für andere. Ist ja auch ihre Aufgabe. Aber nicht ex Cathedra. Müssen viele Kritiker noch viel lernen.
Jede falsche Interpretation, die uns trifft, ist andererseits goldwert. Zeigt sie uns doch auf, wie man unsere Arbeit missverstehen kann (wenn man sie nicht eben doch richtig interpretiert und wir das gar nicht wissen oder wahrhaben wollen). Wenn wir an unserer eigenen Arbeit Interessen haben, dann kann man die eigene Arbeit auch aus dem Blickwinkel einer anderen Person anschauen lernen. Vielleicht öffnet sich ja damit ein ganz neues Feld.
Auftragsarbeit ist eine besondere Situation. In unserer Kultur erlebt man etwas dann als Auftrag, wenn es der eigenen Intention eher nicht entspricht. Auftragsarbeit zu leisten hat etwas Negatives an sich. Dahinter steht ein eigenartiges Selbstverständnis. Jede Abhängigkeit von den Vorstellungen anderer Menschen erscheint als Angriff auf die eigene Person und dei eigene Freiheit. Will man völlig "frei" sein, dann kann man auch in der Gesellschaft nicht wirksam werden. Die Anbindung an die Gesellschaft - und sei es über den Markt - erscheint also als äußerst wünschenswert und notwendig. Offenbar stellt der Zeitpunkt der Abhängigkeit ein Problem dar: vor der Tat, also vor der Entscheidung, was und wie man arbeiten möchte, will man frei sein, danach kann man sich mit der Unfreiheit arrangieren.
Nun ist es sicherlich so, dass die eigene Entscheidungssituation von ganz vielen Faktoren abhängig ist, die man im Sinne der Zeichenkritischen Theorie mit der Wahrnehmungs- und Aussageintention beschreiben kann. Also alles andere als "frei". Die eigene Wahrnehmung ist nur auf dem Boden gesellschaftlicher Prozesse und des kommunikativen Austauschs denkbar.
Auch in der Auftragssituation erfährt man diesen kommunikativen Austausch. dieser kann so aussehen, dass ich mich diesem Auftrag selbst unterziehe, wie bei einer Ausschreibung z.B., oder dass er mit gestellt wird. Auch hier sind alle möglichen Varianten denkbar von der Aufgabe im Unterricht bis hin zu dem Gespräch mit einem "Kunden", das dazu führt, dass man danach für ihn eine Arbeit herstellt. Auftraggeber, die in der Lage sind das zu würdigen, was man selbst entwickelt und geschafft hat sind unersetzliche Freunde.
Kunst entwickelt sich nur in der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Erfordernissen. Und da gehört der Auftrag ebenso dazu wie die eigene Position.
Wichtig ist die Auseinandersetzung, die beziehungsvolle Arbeit, die das eigene Schaffen nicht von vornherein als (abgehobene) Kunst betrachtet, sondern als den Versuch, gesellschaftlich-kulturelle Prozesse zu erfassen und weiterzuentwickeln. Was daraus dann zur "Kunst" gerinnt, ist immer Sache der nachfolgenden Generationen. Von daher sind die Auftraggeben, ebenso wie die Sammler die besten Garanten, dass die eigene Arbeit Sinn macht, wenn man von der eigenen Befriedigung und dem eigenen findenden Suchen absieht.
Wie in der Wirtschaft... Aber dennoch: wenn man sich als Forscher sieht, als jemand, der versucht, die eigene Zeit, die eigene Welt so zu verstehen, dass sie über sein Werk aussagbar wird, der muss auch ein Interesse daran haben, an Stellen fündig zu werden, die sich lohnen. Nicht an Stellen herumzubohren, an denen schon 250 vor einem das ganze Gold weggesiebt haben. Natürlich kann man sich an die Ideen von anderen anhängen, kann diese breitwalzen, kann so tun, als habe man Neuland betreten und geht doch auf ziemlich sicherem Boden.
Aber man kann auch versuchen, bewusst an Stellen zu suchen, wo noch niemand gesucht hat.
Wenn man die heutige Kunstszene anschaut, dann kann man Schwerpunkte finden auf dem individualsymbolischen, auf dem sprachsymbolischen und auf dem indexalischen "Terrain". Die Aussageebene ist im Wesentlichen auf der O''''-Ebene zu finden. Die kulturellen Vernetzungen, die Positionierung in der Kultur sind heute die vorherrschenden Themen. (Provokanter) Umgang mit Normen, Umgang mit Tabus und heiligen Kühen ist das Gebot der Stunde. Klingt auf der einen Seite nach O''''', scheint mir aber durch die Lösung im Individuellen eher biedermeierlicher Natur zu sein. Hätte man auf O''''' eine reale Chance? Beuys, der alte Querulant, hatte es versucht, hat revolutionäre Maximen aufgestellt, die sofort vom Kunstmarkt aufgekauft und weggefegt wurden. Gefährlich hätte diese Maxime "jeder ist ein Künstler" schon werden können, wenn die revolutionäre Kraft der Phantasie zum Zuge gekommen wäre. Es wäre gewesen wie beim Fall der Mauer. Aber dann kam hier die Unterminierung der runden Tische durch die Diktatur der DM, dort die Entschärfung der individualsymbolischen Kraft durch die Diktatur der Institution Kunst.
Vielleicht wäre so eine Marktlücke ja im O'''''-Bereich zu finden?