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Individualsymbolik als Motor für gesellschaftliche Entwicklungen Die Individualsymbolik hat per se etwas Umstürzlerisches an sich. Jede "eigene Ordnung" ist etwas anders als die der kulturellen Umgebung, es sei, denn dass diese eben das eigene Wahrnehmen voll im Griff hat. "Die Phantasie an die Macht" haben die Studenten in Paris an die Mauern geschrieben, "Seid realistisch, fordert das Unmögliche" war ein anderer Spruch der antiautoritären Linken. Es ging in der 68er Bewegung nicht so sehr um das "Antiautoritäre", sondern es ging in viel größerem Maße um die Frage einer neuen Vision, um die Ablösung einer veralteten Sehweise. Die Individualsymbolik von wenigen, vielleicht genialen Denkern konnte sich deswegen Raum verschaffen und die Gesellschaft in Frage stellen. "Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren", war eine der bekanntesten verbalen Provokationen im Vorfeld der 68er Ereignisse. Dabei sind die "1000 Jahre" eine klare Anspielung auf das 1000jährige Reich der Nazis, ebenso wie sie den endlosen Muff überkommener Bildungsvorstellungen anprangerten. Heute sind die "68er" beliebte Fachleute in angesehenen Positionen der Wirtschaft und der Industrie, mit ihrer unkonventionellen Denkweise sind sie wichtige Ideenproduzenten und "Kreativpotential" für diese gesellschaftlichen Kräfte. Und wenn heute einer der bekanntesten "Revoluzzer" Außenminister ist, dann kommt das nicht von ungefähr. Ich denke, dass die Zeit in der wir leben ein enormes Potential an Individualsymbolik erfordert, aber auch produziert. Die explosionsartige Vermehrung von künstlerisch tätigen Menschen, die endlosen Mengen an Pop-Musikern, mit den dazugehörigen besonderen Modeerscheinungen, das "sich outen" in jeder Beziehung, die Selbsterfahrungsgruppen, die Bürgerinitiativen und eben auch die "außerparlamentarische Opposition" sind Anzeichen dieser "individualsymbolischen Gesellschaft". Auch das Internet, wo plötzlich jeder Hinz, Kunz und Rothermel seine Meinung darstellen kann, die Medienindustrie mit den Talkshows, den Sendungen, in denen Jeder und Jede Jedes zum Besten geben kann, Slogans wie das "Anything goes" der amerikanischen Popkultur verheißen eine unendliche individuelle Freiheit. Kann man sich besseres wünschen? Der Rückkaufswert der Freiheit Leider ist die Situation nicht ganz so schön. Man kann auf der einen Seite nicht zulassen, dass ständig alles neu in Frage gestellt wird, man muss Verlässlichkeiten haben im Sinne des kulturellen Netzes, welches ja auch in der Lage ist, Richtungen zu bestimmen, und dieses auch tun muss, damit eine Gesellschaft funktionieren kann. Deswegen lassen die diversen Gegenbewegungen auch nicht auf sich warten, die einfachsten (wenn auch nicht ungefährlichsten) sind dabei die fundamentalistischen Erscheinungsformen von Kulturen, wo man sich unkritisch und dogmatisch an Ideologien hält, von denen man behauptet, dass sie sich irgendwann einmal, und deswegen ein für alle Mal bewährt haben. Der Wunsch nach absoluter Gültigkeit, (wo ich eine Verwechslung der Sprachsymbolik mit dem Abstrakten sehe), bestimmt das Denken dieser Menschen und führt zu fanatischem Eifer, da ja auch die Korrektur am Indexalischen verworfen wird. Dies gilt für die Bushs ebenso wie für die Bin Ladens. "Ungefährlicher", aber im Sinne geistiger Beeinflussung (O''' ''' im negativen Feld) mindestens so zerstörerisch, ist die Variante der Vereinnahmung von Individualsymbolik durch unsere Kultur. Es wird den Menschen vorgegaukelt, sie seien freie Individuen, sie dürften tun und lassen, was ihnen gefällt, alles steht im Angebot, nichts ist "heilig". Da für das Bewusstsein indes die sprachsymbolische Komponente ein ganz wesentlicher Faktor ist, muss die virtuelle Aufbauschung der Individualsymbolik dazu führen, dass die Fähigkeiten der Vermittlung und des Austauschs verunsichert werden. Die gemeinschaftliche Sprache und gemeinschaftliche Bedeutungsstrukturen sind ebenso wichtig wie die Möglichkeit diese in Frage zu stellen. Folge davon ist, dass auf der einen Seite die Individualsymbolik auf der ganzen Linie propagiert wird, andererseits aber diese sprachsymbolisch vereinnahmt wird. Dazu dient der Moderummel, der Starkult, natürlich die Medien, die endlosen "Musikteppiche" im Radio, die Warenhäuser und Boutiquen mit ihrer gemachten Vielfalt, die dem Konsumenten die Illusion gibt, sich ganz individuell kleiden zu können. Alles, was individuell erscheint haben die Designer vorgeplant, Beim "Italiener" in Bremen schmeckt die Pizza genauso wie beim "Italiener" in Amsterdam. Marktforschung, Verbraucherumfragen, "Einschaltquoten" sind die Garanten dafür, dass niemand mehr auf die Idee kommt, dass möglicherweise "sein Geschmack", seine Vorstellungen unbefriedigt bleiben. Jeder Wunsch ist erfüllbar (mit dem nötigen Kleingeld), alles ist käuflich, und alles muss "fun" machen und cool sein. Endlich sind wir nur noch die ganz individuell sich gebärdenden Kleiderständer für die Modedesigner, sind die hippen Nahrungsmittelverwerter für die Lebensmittelindustrie (eigentlich könnte man es auch gleich wegwerfen - aber da gibt es dann ja schon wieder gleich den "Biomarkt"), sind die nützlichkeitsbesessenen Schnäppchenkäufer (vom Bargain zum Schnäppchen...), und die unterhaltungsbedürftigen Mediennutzer, die aus 100 gleichen Programmen, das aussuchen dürfen, was ihrer "Persönlichkeit" am besten entgegenkommt. Wenn die Individualsymbolik in dem Maße ausgeschaltet wird, dass der Einzelne "subjektiv" das Empfinden hat, ganz individuell zu sein, auf der anderen Seite die Integration in die gesellschaftlichen Normen mehr gesteuert wird denn je zuvor, ist dies die beste Garantie dafür, dass die Welt auf lange Zeit den in den Machtstrukturen Schaltenden erhalten bleibt. Und dazu braucht man die Phantasie derer, die es einmal (ganz anders) gelernt haben. Wir haben unsere Freiheit alle für einen ganz banalen Rückkaufswert verscherbelt. Also: Die Phantasie an die Macht! |