Die Darstellung der möglichen Mischungsverhältnisse der Wirklichkeitsebenen als Wirklichkeitsmodi, der Aussagebenen als Aussagemodi, der Darstellungstendenzen als Darstellungsweisen und deren Kombination als Aussageintentionen


Bereits im Zusammenhang mit den Überlegungen zu den Wirklichkeitsebenen ist deutlich geworden, dass die Wahrnehmung sich (im Modell der Zeichenkritischen Theorie ) zusammensetzt aus allen damit verbundenen Elementen. Wirklichkeit ist nur als Ganzheit zu denken, ebenso wie Wahrnehmung. Allerdings hat jedes Individuum auf Grund seiner persönlichen Eigenarten und Prägungen die Möglichkeit, besondere Schwerpunkte zu setzen bei der Gewichtung dieser Elemente. Fehlen bestimmte dieser Wahrnehmungselemente ganz, hätten wir es wohl mit einem pathologischen Befund zu tun.

Diese Zusammenhänge werden in der Zeichenkritischen Theorie "Mischungsverhältnisse" genannt.

Da immer alle Wahrnehmungsebenen und -tendenzen die Wahrnehmung bestimmen, diese von Individuum zu Individuum aber unter sich nie gleich sind, sind diese Mischungsverhältnisse charakteristisch für die unterschiedlichen Wahrnehmungsintentionen der unterschiedlichen Menschen.

Der Mensch erlebt seine eigene Wahrnehmung selbst nicht als besonderes Mischungsverhältnis, da für ihn diese Wahrnehmungsintention ja völlig selbstverständlich ist. Er wird sich wohl eher wundern, wenn andere Menschen die Dinge nicht so sehen wie er selbst. Von daher ist es nicht ganz einfach sich in die Idee einer anderen Wahrnehmungsintention hineinzuversetzen. Tatsächlich fängt das Phänomen der Mischungsverhältnisse bei der Wahrnehmungsintention an, nach außen hin sichtbar wird diese dann erst bei der Aussageintention. 

Es wird später noch ausführlich untersucht werden, wie die Wahrnehmungsintention sich in eine Aussageintention verwandelt, kurzgefasst besteht die Relation darin, dass man davon ausgehen kann, dass ein Mensch so über die Wirklichkeit sprechen wird, wie er diese auch erlebt. Er wird also seine Wahrnehmungsintention in Sprachform übersetzen, die der Rezipient dann wieder im Sinne der Mischungsverhältnisse decodieren kann. (Dies geschieht allerdings mit der dem Rezipienten eigenen Wahrnehmungsintention - also einer 'Rezeptionsintention' wie ich dieses Monster in der Zeichenkritischen Theorie genannt habe - und es ist überhaupt nicht erwiesen, dass diese beiden Intentionen irgendwie kompatibel sind...)

Für die praktische Untersuchung von Wahrnehmungsintentionen in deren Mischungsverhältnis kann man dabei mit dem (problematischen) Begriff der ' Normalität' operieren: wird die Norm dessen, was wir unter "normalen" Umständen erwarten würden eingehalten, dann werden wir diese Ebene oder diese Tendenz nicht als etwas Bemerkenswertes erleben. Die Intention des Autors einer Botschaft wird dieser Ebene oder dieser Tendenz keine besondere Aufmerksamkeit gewidmet haben. Z.B. bei einer O-Aussage: wenn alles so aussieht, wie wir uns das vorstellen, dann ist es unwahrscheinlich, dass der Autor der Nachricht dieser Ebene eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat (Immer eingedenk der Tatsache, dass wir unserer eigenen Rezeptionsintention unterworfen sind). Sind allerdings die Abweichungen zu dem, was ich selbst als Norm erlebe groß, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass der Autor (für meine Wahrnehmung) dieser Ebene oder dieser Tendenz (bewusst oder unbewusst) eine besondere Rolle zukommen lassen wollte. So kann man erfassen, dass selbstverständlich alle Ebenen und alle Tendenzen immer anwesend sind, bei der Intention dagegen es zu einem spezifischen Mischungsverhältnis kommt. Das spezifische Mischungsverhältnis bei den Wahrnehmungsebenen nennen wir im Rahmen der Zeichenkritischen Theorie den Wahrnehmungsmodus, bei den Wahrnehmungstendenzen dann die Wahrnehmungsweise. (Wie sicherlich inzwischen schon klar wurde, ist die Kombination aus Wahrnehmungsmodus und der Wahrnehmungsweise die Wahrnehmungsintention.)

Wenn wir eine Wahrnehmungsintention (in der Form einer Aussageintention z.B.) konkret untersuchen wollen, dann gehen wir bei den Wahrnehmungsmodi immer mindestens von zwei hauptsächlichen Wahrnehmungsebenen aus, ebenso bei den Tendenzen, die dann zusammen das Mischungsverhältnis charakterisieren.

Bildet sich das Mischungsverhältnis der Ebenen z.B. hauptsächlich aus O und O', dann ist der Wahrnehmungsmodus charakterisiert durch ein geschärftes Beobachtungsfeld in Bezug auf die Realität und auf die eigene Befindlichkeit. Vielleicht denken wir dabei an einen Apotheker, der Selbstversuche mit bestimmten Medikamenten macht, um deren Wirkung am eigenen Körper zu erleben. Oder der Bergsteiger, der unter dem Aufgebot seiner ganzen Konzentration sein Ziel verfolgt...

Wir können bei diesen Beispielen schon sehen, dass dieses Mischungsverhältnis in zweierlei Weise ausgeprägt sein kann: O>O' und O<O'. Dabei bedeutet O>O', dass in der Relation O' im Zentrum steht (Bergsteiger), O<O' bedeutet dagegen, dass sich O' in den Dienst von O stellt (Apotheker).

Nehmen wir ein anderes Mischungsverhältnis: z.B. O' und O'''. Es werden also die Befindlichkeit und die Wirksamkeit gekoppelt. Welche Beispiele fallen dazu ein? Vielleicht der Aktionskünstler G. Brus, der sich bei einem Happening mit einer Rasierklinge die Kopfhaut aufritzt, bis Blut aus dem Schnitt heraustritt. oder der Lümmel, der einen Freund mit einem Aprilscherz hereinlegt. Auch hier wieder: das erste Beispiel ist O'<O''' (Die Zuschauer sollen auf die Befindlichkeit des Künstlers schauen), das zweite ist dann O'>O''' (Es kommt hauptsächlich auf die Wirkung an). Bei dieser Unterscheidung spreche ich von der Wertigkeit des Mischungsverhältnisses, dieses zu ergründen ist sicherlich nicht immer notwendig, aber manchmal wird es für die Einschätzung eines Phänomens hilfreich sein. Wir hören z.B. ein Konzert, und dabei haben wir eigentlich eher die Rolle den Solisten zu bewundern ("Paganini") als dass es darum geht, dass der Solist sein bestes tut, um uns die Musik, die er gerade spielt, nahe zu bringen.

Wir haben bisher nur die Mischungsverhältnisse untersucht in ihrer Variation bezüglich zwei Ebenen. Sie bestehen aber immer aus allen Elementen, die möglich sind. Nehmen wir noch einmal unseren Solisten. Zusätzlich zu dem schon Genannten muss es auch eine Realitätsaussage geben, eine Sprachaussage (Formulierung), eine Aussage, die sich auf das kulturelle Netz bezieht. Dazu könnte auch noch eine Aussageebene in Richtung auf "Kulturkritik" und auf Autonomie kommen. Man kann statt zwei dieser Elemente auch drei oder vier gleichberechtigt oder zumindest ebenbürtig miteinander verknüpfen, und dann auch noch in den unterschiedlichen Wertigkeiten, die möglich sind.

Machen wir es mal einfach und nehmen wir ein Beispiel in dem drei Ebenen mehr oder weniger gleichberechtigt miteinander verknüpft sind: O', O''' und O''''. Nehmen wir wieder unseren Solisten, der ja unzweifelhaft ein Stück aus dem Schatz unserer Kultur zum Besten gibt, er muss sich also auch mit dem kulturellen Netz befassen. Er weiß, wie andere Solisten das Stück vor ihm interpretiert haben, und will jetzt z.B. eine andere Sicht auf dieses Stück ermöglichen. könnte also folgendermaßen aussehen: O'>O''''>O'''. Er will seine Position dem Stück gegenüber (O') im Rahmen des kulturellen Verständnisses des Stückes (O'''') einem Publikum zu Gehör bringen (O'''). Kommt seine eigene Eitelkeit hinzu, dann heißt das möglicherweise O'<O'''<O''''. Die kulturelle Tradition und die Anwesenheit des Publikums werden dafür ausgenützt, um die Person des Solisten zu zelebrieren...

Wir sehen also an diesen kleinen Beispielen, welch vielfältige Nuancen hier möglich sind. 

Nehmen wir jetzt noch die Tendenzen hinzu, bei unserem Solisten z.B. die ästhetische und die indexalische, dann wird er das Konzert auf einem Instrument aus der damaligen Zeit spielen, er wird sich intensiv mit der Geschichte beschäftigt haben (O'>O''''>O'''), oder aber (O' < O''' <O'''') er wird dies auch tun, aber eben um dem Publikum seine eigene Person als Wichtigstes darzustellen, wie er es ist, der dies alles gefunden hat usw. 


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