Ich gehe von der Überlegung
aus, dass die existentiellen Konstanten, zu denen der Mensch
über die abstrakte Wahrnehmungstendenz ganz selbstverständlichen
Zugang hat, sich in den Variablen der unterschiedlichen
Sprachformen medial zum Ausdruck bringen.
Ebenso wie die
existentiellen Konstanten immer nur in einer konkreten Weise
in Erscheinung treten, wie jede Sekunde des Lebens selbst eine
einmalige Konkretion ist, die so nie wieder in Erscheinung
treten wird, kann der abstrakte Zeichenaspekt nicht selbst
dargestellt werden sondern immer nur in der Konkretion der
Zeichenaspekte im Ganzen.
Gehen wir aber von den Variablen aus,
also von dem Status, in dem diese noch nicht einer Konkretion
unterliegen, kann man darstellen, was die Variablen grundsätzlich
zu transportieren in der Lage sind.
Dies führt also zu folgender
Problemstellung:
Welche (abstrakte)
Wirklichkeitserfahrung wird in den der bildnerischen Variablen
sichtbar?
Präzisierung der
Fragestellung:
Welche
existentiellen Konstanten im Umgang mit Wirklichkeit repräsentieren
die abstrakten Elemente, die in den bildnerischen Variablen
zum Ausdruck kommen?
Bei den folgenden Ausführungen werde
ich nach einer bestimmten Weise vorgehen:
Zuerst wird die
bildnerische Variable in ihren grundsätzlichen Merkmalen
dargestellt, dann werden
Erfahrungen im Leben des Menschen beschrieben, die möglicherweise
die Qualität von "existentiellen Konstanten" haben und
es werden Analogien herausgearbeitet, die die bildnerische
Variable als "abstraktes Ikon" für die
herausgefunden Relationen erkennbar machen.
1. Situativer
Kontext
![Ausstellungssituation](../../images/rhoon21.JPG)
Alles was als Identität
in Erscheinung tritt, unterscheidet sich von dem, was um es
herum ist. Nur in der Unterscheidung zu dem Umfeld kann eine
Identität erkannt werden. Dieses Umfeld ist der situative
Kontext. Der situative Kontext kann sich schnell oder auch
langsam verändern, da jedoch der situative Kontext auch immer
von der Rezeption, also vom "erkennen" her bestimmt
wird, ist dieser Kontext auch an die Dauer der Rezeption
gebunden.
Ein Bild hängt möglicherweise
jahrzehnte lang im Museum, immer an der gleichen Stelle,
immer im Kontext mit den gleichen anderen Bildern. Als
Betrachter erlebe ich zwar diesen bestimmten Kontext als immer
gleich, aber dennoch ist der Gesamtkontext veränderlich, die
Anzahl der Besucher, die sonst noch das Bild sehen wollen,
meine eigene Befindlichkeit, das spezielle Interesse, mit dem
ich das Bild ansehe, die Jahreszeit usw.
Hinter dieser
Wahrnehmung steht die existentielle Konstante der eigenen
Identitätserfahrung, und der jeweilige Bezug, den ich zu
meinem situativen Umfeld habe. Harmonie, Disharmonie, Dauer
und Relation sind wesentliche Komponenten dieser Wahrnehmung.
Ich erlebe ein Bild immer in einem
bestimmten Kontext, oftmals wird dieser Kontext völlig
ausgeklammert beim Betrachten des Bildes, auch wenn er natürlich
selbstverständlich zugeordnet wird. Es handelt sich bei der
Begegnung mit dem Artefakt in seinem Kontext auch darum, dass
ich mich selbst im selben Kontext befinde, dadurch gibt es
eine gewisse Affinität, die das Interesse ("dazwischen
sein") bestimmt. "Ich will mich dem interessanten
Gegenstand widmen".
1.1.Ort
![Brandenburger Tor, Berlin](../../images/brandenburger_tor.jpg)
Das Bild (oder das
Kunstwerk - hier die Reitergruppe des Brandenburger Tors)
befindet sich an einem bestimmten Ort. Wenn es der richtige
Ort ist, kann das Bild dort seine volle Intensität entfalten.
Man kennt die
Formulierung "sich am richtigen Platz befinden",
oder auch "fehl am Platz" sein. Man muss sich seine
"Position erst erobern", oder seinen "Ort
bestimmen".
Den richtigen Ort für ein Bild
finden. "Das Bild gehört an diese Wand". Dort einen
Nagel einschlagen. Wissen, wo man hingehört, wo man seinen
Platz hat.
2. Dimension
![Briefmarke](../../images/briefmarke.jpg)
Jedes endliche
Element hat eine Dimension. Wenn wir als Menschen uns
Objekten gegenübersehen, dann gibt es für die Relativität
der Dimension mindestens zwei Vergleichswerte: einmal den
Bekanntheitsgrad ("das ist immer so groß...") und
dann noch das menschliche Maß. Bilder sind in der Regel
bezogen auf menschliches Maß. Die eigene Körpergröße ist
Parameter für ein Bild mit "normaler Dimension"
bzw. es wird von daher als klein oder groß erlebt. Bilder,
die sowieso immer groß oder klein sind (Wandbilder,
Kinoleinwand, Briefmarken) haben von dort her ihre
"normale" Dimension.
"Monumentale"
Kunstwerke machen immer einen imponierenden Eindruck,
sind ehrfurchtseinflößend. Ganz kleine Kunstwerke sind
"süß", preziös, filigran usw. Sie werden als
Kostbarkeit verwahrt - sind auch nicht diebstahlssicher... Das
Kleine weckt unsere besondere Sympathie.
Das Große kennen wir durch
Kindheitserinnerungen: in der Straßenbahn stehen und überall
nur Beine sehen, man ist klein und blöd aber auch wendig...
und das Kleine ist etwas wertvolles, ein Schatz, die Muschel
am Strand.
2.1.Format
![Recker, Studie aus Prag, 1997](../../images/prag_recker.jpg)
Die üblichste
Form des Bildträgers ist das Rechteck oder als Sonderfall das
Quadrat. Die Formatränder bilden die Grenze, die dieses
Format vor dem Hintergrund der sonstigen Dinge abhebt. Diese
Grenze lässt das Format als die "Figur" in
Erscheinung treten (Passepartout und Rahmen verstärken diesen
Eindruck). Das Format birgt in sich bereits eine Menge von
Relationen: Höhe zu Breite, die Diagonalen und deren Bezug
zueinander, Das Zentrum und die Randbereiche. Das Format ist
ein bildnerisches Element, welches absolut zwingend ist: man
kann nicht aus dem Format heraus, es sei denn man verlässt
die materielle Ebene. Das Format ist die Fläche, die man für
seine Arbeit gewählt hat, es ist der momentane Handlungsspielraum.
Über die inhärenten Formatbezüge (senkrecht-waagrecht,
Diagonalen) weist das Format aber auch über sich hinaus,
verweist auf den dazugehörigen Kontext.
Nach diesen
Betrachtungen kann man das Format verstehen als die
Weite unseres Lebensraumes und es erscheint gleichbedeutend
auch mit dar Begrenzung des Lebensraumes. Das
Format ist die Abstraktion der tatsächlich vollziehbaren Möglichkeiten
in unserem gegenwärtigen Leben.
Als solches ist
der ideelle Mittelpunkt der Ausgangspunkt dieser
"Feldbeschreibung", er ist sozusagen unser
Standpunkt ehe es zur Beschreibung der Fläche losgeht. Ist
die Fläche die Abstraktion unseres realen Lebensraumes, also
von dem, was wir draußen vorfinden, so ist der ideelle
Mittelpunkt die Abstraktion unseres Standpunktes innerhalb
dieser Fläche, er ist also die Abstraktion unserer Position.
Von diesem Punkt aus können wir uns in alle Richtungen
entwickeln, bis wir an die Grenzen des Formats stoßen.
Von dem
gedachten Bild dieses sich vom Mittelpunkt aus in alle
Richtungen Sich-Bewegens, kommen wir zum Kreis, in dessen
Mittelpunkt sich der Bildmittelpunkt befindet.
![](../../images/abs_dim.jpg)
Beim
Rechteck gibt es zwei mögliche Kreise, die reale Punkte auf
den Begrenzungslinien des Formats haben: ein kleinerer Kreis
der sich ganz im Format befindet und der andere dessen
Begrenzungen über das Format hinausgehen. Über diese
Kreisformen ist die Möglichkeit gegeben, sich sowohl
innerhalb dieses Formats und den damit gegebenen Begrenzungen
aufzuhalten oder sich über diese Begrenzungen zumindest
ideell hinaus zu bewegen.
Dieser größere
Kreis ist so die Abstraktion der Möglichkeit, über unsere
tatsächlich realisierbaren Möglichkeiten hinaus zu denken.
Beim Quadrat ist dies nicht der Fall, da decken sich die
beiden Kreise. Das Quadrat ist somit wesentlich ruhiger,
"in sich geschlossener", als ein Rechteck. Je
ausgeprägter sich das Rechteck vom Quadrat unterscheidet, um
so deutlicher wird auch für die Wahrnehmung das Umfeld des
Formats.
3. Spur
![Mein Atelier](../../images/strandzeichnung.jpg)
Jede Spur setzt
sich zusammen aus der eingreifenden Handlung als Anwendung
einer Technik (die sich in der Regel aus dem Gebrauch von
Werkzeugen und unterschiedlichen Gestaltungsmaterialien
zusammensetzt) des eine Spur intendierenden Menschen. Jede
Spur ist als materiell verbleibendes Eingegriffen-Haben des
Menschen in natürliche materielle Zusammenhänge zu erkennen.
Diese drei Bestandteile der Spur sind immer vorhanden.
Beim Bild nennen wir die
materiellen Zusammenhänge das Trägermaterial. Es kann der
Sand sein, auf dem man mit den Füssen oder einem Stock Spuren
hinterlässt, oder die Leinwand, die man bemalt.
Die endlos
vielen Werkzeuge und Gestaltungsmaterialien, die denkbar sind,
fassen wir zusammen unter dem Begriff der Technik. Jede
Technik hat ihre eigenen unverwechselbaren Charaktere und
Ausdrucksformen. In der Musik könnte man das vielleicht
vergleichen mit der Qualität der unterschiedlichen
Instrumente. Auf Grund der Fülle unterschiedlicher Qualitäten
haben wir hier den Begriff der "technischen
Variablen" eingeführt. Die technischen Variablen
sind ebenfalls in der Lage, existentielle Konstante zu
transportieren. Dabei ist eine Technik ein bestimmtes
Zusammenwirken verschiedener bildnerischer Variablen, die in
dieser besonderen Weise eben nur in einer bestimmten Technik
in Erscheinung tritt. (Linoldruck z.B.: normalerweise ein
deutlicher Hell-Dunkel Kontrast, stark vom Flächigen her
bestimmt, Flächen eher wenig modifiziert, präzise Umrisse.)
Jede menschliche Tätigkeit
hinterlässt Spuren, dass etwas "spurlos
verschwindet" hat eher etwas mit Zauberei zu tun. Um
einen Gedanken zu transportieren muss ich immer etwas formen,
beim Sprechakt ist dies einem am wenigsten bewusst, aber
dennoch als Zusammenspiel von Atem, Mund und Luft ein
hochkomplexer materieller Vorgang. Bei den Vorbemerkungen zur
Abstraktion und Ikonizität (siehe Link oben im Bannerfeld "zurück
zu abstrakt")
habe ich die drei "Aggregatzustände" des Wesens
formuliert: Das
Wesentliche der Gestalt, die zeitlich begrenzte Modifikation
der Erscheinungsweise durch innere und äußere Einflüsse
und die dauerhafte Veränderung der Gestalt durch Außeneinwirkung.
Wobei hier das
"Wesentliche der Gestalt" in Form des Trägermaterials
in Erscheinung tritt (oder auch nicht, wenn es wie z.B. beim
Ölbild gänzlich übermalt wird), welches durch die Handlung
des Menschen und den Einsatz einer Technik dauerhaft verändert
oder zeitlich begrenzt modifiziert wird.
Spur kann somit aufgefasst
werden als Abbildung der Tatsache, dass menschliche Sprache
immer an ein materielles System gekoppelt ist. Es gibt keine
immaterielle Sprachform. Sprache muss also immer die tatsächlichen
materiellen Gegebenheiten als Grundlage darstellen (Trägermaterial).
Ebenso ist das Gestaltungsmaterial nicht der
"Machbarkeit" des Menschen unterzogen, der Mensch
kann lediglich die Eigenschaften der Materialien anwenden und
mit Werkzeugen bearbeiten. (Die kann man selbstverständlich
auch auf "künstliche Stoffe, wie synthetische Pigmente
oder Kunststoffe etc ausdehnen: Die Herstellung eines solchen
Stoffes ist selbst schon wieder eine "Spur", da auch
hier zielstrebiges Handeln mit Werkzeug und
Gestaltungsmaterial, was wiederum die Natur vorgibt gearbeitet
werden muss, um das Ergebnis zu erreichen.)
3.1. Trägermaterial
![grundierte Leinwand](../../images/leinwand.jpg)
Das Trägermaterial ist
Grundbedingung für jede Spursetzung. Das Trägermaterial ist
immer etwas tatsächlich Vorhandenes, der Illusionsraum des
Bildes kann dieses zwar für die bewusste Wahrnehmung völlig
unsichtbar machen, aber es ist in jedem Fall die materielle
Basis für das Bild. Die materiellen Eigenschaften des Trägermaterials
sind für die Realisierung der Spur von ausschlaggebender
Bedeutung. Das Trägermaterial ist Träger der
Bildinformation. Traditionelle Trägermaterialien sind:
Leinwand, Papier, Holz, eine Wand, etc. Jedes Trägermaterial
hat seine spezifischen Eigenschaften: Es nimmt das
Gestaltungsmaterial unterschiedlich gut oder schlecht an,
saugt es auch manchmal auf. Das Trägermaterial hat eine
bestimmte Reaktion in Bezug auf Witterung und Lichteinwirkung,
es vergilbt, löst sich auf, verdirbt, verändert auf Grund
seiner Beschaffenheit selbst wieder die chemische Struktur des
Gestaltungsmaterials (z.B. säurehaltiges Papier). Das Trägermaterial
kann vom Gestaltungsmaterial restlos verdeckt werden, es kann
ganz oder partiell frei bleiben oder in seiner Struktur durch
das aufliegende Gestaltungsmaterial hindurch sichtbar bleiben
(Aquarellbütten, Leinwandstruktur, Japanpapier etc...). Im
Falle des Freibleibens oder Sichtbarbleibens des Trägermaterials
behält es seine oder entwickelt es eine selbständige
Ausdrucksqualität.
Äquivalent zu den
existentiellen Konstanten ist das Trägermaterial insofern,
als es die Tatsache repräsentiert, dass der menschliche Körper
an die Oberfläche der Erde gebunden ist. Jede Bewegung
geschieht in Bezug zur Erdoberfläche, also zum Trägermaterial
menschlicher Aktivität. Es ist der Erdboden, der einen trägt,
und der Grundlage für alles Leben und alles Tun des Menschen
ist. Land(besitz) ist der zentrale Ort menschlicher Kultur,
kein Haus, keine Straße ohne Grund und Boden. Als
korrespondierende Erfahrung gibt es den "tragenden
Grund", (der Teppich, der einem unter den Füßen
weggezogen werden kann...). Menschliche Aktivitäten können
nur "auf dem Boden bestehender Verhältnisse"
erfolgen, die der "Nährboden" sind, auf dem sie
sich entfalten können. Im übertragenen Sinn sind die
Grundlagen einer Situation die Rahmenbedingungen, auf denen
die Situation sich abspielt, sich entwickeln kann. Der Grund
ist die "Ursache".
Das Trägermaterial spielt bei der
Wahrnehmung eines Kunstwerks meistens keine Rolle. Aber es
kann das ästhetische Empfinden wesentlich steigern. Und es
macht aus einem Bild häufig auch etwas wertvolles.
"Handgeschöpftes Bütten!!!"
3.2. Gestaltungsmaterial
![Gestaltungsmaterial](../../images/material.jpg)
Als
konkretisierte Spur erscheint in der Regel nach einem Eingriff
auf einem Trägermaterial die Ablagerung eines bestimmten
Materials.
Bewegung von
Masse ist physikalische Grundlage von Handlung. Diese Masse
kann die eigene sein (z.B. bei der Ohrfeige), oder die Masse,
die ich bewege, ist etwas außerhalb von mir. Handlung ist immer Eingriff in
die "normalen" Abläufe, und immer bezogen auf O.
Jedes Produkt einer Handlung ist ein O". Jede Handlung
ist, auf ein "Draußen" bezogen, und muss sich
deswegen der Materialien bedienen, die die Natur gibt (selbst
"Kunst"-Stoff wäre, ohne die Gesetzmäßigkeiten
von natürlichen Prozessen nicht herstellbar, der Mensch kann
die Möglichkeiten, die in den Naturkräften liegen entdecken
und diese dann anwenden). Durch diesen Umgang und die Kenntnis
der Eigenschaften der Materialien, mit denen wir in Berührung
kommen, erfahren wir die Qualitäten dieser Materialien. Als
existentielle Konstante haben wir ein Bewusstsein von
Materialqualität.
Die Erfahrung mit Gegenständen,
Materialien, Materialeigenschaften etc., gibt uns bei der
Betrachtung eines Bildes eine Vorstellung und ein
empfindungsorientiertes Wissen um die im Bild zur Anschauung
kommenden Qualitäten der Materialien. Insbesondere
Oberflächenstruktur, Glanz, Dichte, Reflexionseigenschaften,
Transparenz sind Merkmale, die der Betrachter als
Materialqualitäten mit Erfahrungswerten verbinden kann.
3.3. Werkzeug:
![Werkzeug](../../images/werkzeug.jpg)
Das
Gestaltungsmaterial muss in irgendeiner Weise auf das Trägermaterial
aufgebracht werden. Dazu bedarf es immer eines Werkzeugs. Das
Werkzeug ist für die Art der Spur wesentlich, es selbst gehört
aber nicht zum materiellen Aspekt der konkretisierten Spur.
Das Werkzeug kann der Mensch selbst sein (die Hand), oder ein
Werkzeug, das die Möglichkeiten der Hand erweitert. Unter
Ausschluss eines Gestaltungsmaterials kann das Werkzeug auch
direkt Spuren auf dem Trägermaterial hinterlassen
(Steinbildhauerei, Fontana, etc.,). Dann ist das Trägermaterial
gleichzeitig Gestaltungsmaterial.
Jedes Werkzeug
ist prinzipiell die Verbindung von geistigen Prozessen und
einer Handlung. Jedem Werkzeug ist inhärent der Zweck, die
Funktion. Damit hat es immer einen geistigen Anteil (Der
Hammer, den der Astronaut bei der Reparatur seines
Raumschiffes verloren hat, ist kein Hammer mehr, selbst wenn
er noch die Form des Hammers hat). Das Werkzeug selbst gibt
Aufschluss über geistige und geistesgeschichtliche Prozesse,
z.B. der Pflug im Heimatmuseum, die Werkzeuge, die der Mensch
benutzt, bzw. deren Gebrauch er erlernt hat, lassen den Mensch
Umgangserfahrungen mit Wirklichkeit machen, und prägen somit
auch sein Weltbild. Die Benutzung eines Werkzeugs bedeutet
Eingriffs- und Handlungsmöglichkeit.
Das Werkzeug zeigt die Möglichkeit
des Menschen auf, die Form der Materie so zu verändern, dass
dadurch Geräte entstehen, die für bestimmte Zwecke anwendbar
sind. Auch hier lassen sich nur die Eigenschaften der Materie
anwenden. Dadurch ist die Faktur das Bindeglied zwischen der
äußeren "Natur" und der geistigen Verarbeitung
dieser "Natur" durch die Möglichkeiten des Gehirns.
"Die Mache" ist somit nichts neu hergestelltes,
sondern ist die Abbildung dieser menschlichen Fähigkeit, Äußeres
in sich aufzunehmen und durch die Verarbeitung des Geistes
wieder herzugeben.
3.4. Faktur:
![Situation aus einem Kurs](../../images/handlung02.JPG)
Die Faktur ist
die Art und Weise, wie das Werkzeug und das
Gestaltungsmaterial (Technik) benutzt wird. Die Faktur
unterliegt der Motorik und der Emotionalität des Menschen.
Damit unterliegt die Faktur ebenfalls den psychischen
Komponenten, die die Motorik steuern.
Ist die Faktur sichtbar,
insbesondere die psychischen Komponenten, spricht man von Gestus
(von lat. "handeln"), die dabei sichtbar werdende Führung
des Werkzeuges ist der Duktus
(von lat. "führen").
Wird der Prozess betont
(chemisch/biologische Prozesse, oder auch die
Filmdokumentation über die Herstellung von Bildern im Atelier
kann man von Verwirklichung
sprechen.
Die Faktur
kann auch oder soll weitgehend unsichtbar bleiben, Techniken
wie Spritzpistole (Airbrush), Lasurtechniken bei der Öl-
und Acrylmalerei, aber auch die Fotografie sind Beispiele
dafür. Mangels eines besseren Begriffes (?) schlage ich
hier "Fakturlosigkeit"
vor. Hier gehört auch das ganze weite Feld der Reproduktionen
hin, auch wenn manchmal mit raffinierten Drucktechniken eine
Faktur vorgetäuscht wird, haben wir es hier mit Fakturlosigkeit
zu tun. Bei manuellen Drucktechniken ist das anders, hier
kann zumindest der Fachmann den persönlichen Eingriff
des Künstlers oder des Druckers erkennen.
Die "Fakturlosigkeit"
zeigt die Bedeutung der Faktur auf: Die "Mache"
verweist immer auch auf die Situation, in der etwas gemacht
wurde. Die Faktur verweist auf Zeit und Vergangenheit, aber
auch auf die Befindlichkeit des Autors, auf seine Person.
Insofern vermittelt die Faktur auch etwas von der Situation
und der Vergangenheit der Entstehung der Spur und Gegenwart
der Wahrnehmung.
Diese Zusammenhänge werden als
"Aura"
erlebt. Die Aura verweist auf die direkte Verbindung zwischen
Entstehungssituation und Betrachter. Das Bild von Rembrandt,
vor dem wir jetzt gerade (virtuell) stehen, hat Rembrandt tatsächlich
gemalt, alles was man daran sieht (abgesehen von den
Eingriffen der Restauratoren...) ist von ihm. Es ist wie eine
Urkunde. Wie "Brief und Siegel". Bei der
Reproduktion, bei der Fakturlosigkeit ist tatsächlich die
Aura verschwunden.