Zum "Zeitgeist"


Versuch einer Darstellung der Zeitverschiebung von Kunst-Produktion und allgemeinem Verständnis von Kunstwerken.

Gehen wir einmal davon aus, dass es Menschen (Künstler) geben kann, die auf Grund einer besonderen Fähigkeit (die sich möglicherweise als ein besonderes Mischungsverhältnis ihrer Wahrnehmungsintention darstellen lässt) in der Lage sind, aktuelle Entwicklungen der äußeren Realität früher und intensiver als andere Menschen wahrzunehmen.

Ich will dies mit dem Modell der ZKT und dabei insbesondere der "Sprachsymbolik" versuchen darzustellen. Die Entwicklungen der äußeren Realität sind Bestandteil des situativ amorphen Kontinuums der Wirklichkeitsebene O. Nehmen wir eine unspezifizierte Qualifikation eines Künstlers an, diese Wirklichkeitsebene eher erfahren zu können als ein "Normalbürger" (der möglicherweise eher von O'''' und Sprachsymbolik in seiner Wahrnehmung von Wirklichkeit bestimmt wird), so müssen wir auch annehmen, dass diese Tätigkeit gestische Aktivität hervorbringt, die sich primär in Neugier, Interesse und "am Puls der Zeit" sein wollen etc. ausdrückt. Damit sind Weichen gestellt (die wie auch immer t-sy - mäßig angefärbt sein können), die zum Versuch der Bestimmung von Ikonen in diesem amorphen Feld führen. Dies führt dann zu einer individualsymbolischen Konstruktion. Mit dieser individualsymbolischen Konstruktion will der Künstler an die Öffentlichkeit - ergo er braucht eine Sprache. Diese kann er nicht im (Umgangs-)sprachlichen Kontext seiner aktuellen Zeit finden, da diese ja eben Dinge zur Sprache bringt, die längst formulierbar geworden sind. Er muss dennoch eine bereits vorfindbare Sprache oder zumindest Elemente davon benutzen, damit er überhaupt sich verständlich machen kann. Er wird also auf Sprachformen zurückgreifen, die es zwar gibt, die aber im Bedeutungsfeld der aktuellen Situation relativ offen sind, und damit uminterpretierbar sind.

Mit einer relativ ungewohnten Sprache, deren Bestandteile normalerweise anderen Zusammenhängen zugeordnet werden, wird er also Unbekanntes, d.h. noch nicht sprachlich Fixiertes und damit in die Sprachsymbolik Aufgenommenes darstellen. Der Rezipient wird dies logischerweise nicht oder nur bruchstückhaft oder auch einfach falsch verstehen.

Bis er dies nun verstehen lernt, braucht es verschiedene Schritte: Es müssen Zwischenpersonen gefunden werden, die in der Lage sind, das nun Dargestellte zu identifizieren. (Sie müssen dabei nicht notwendigerweise in der Lage sein, solches auch selbst in der vom Künstler gewählten Sprachform darstellen zu können.) Ihre Aufgabe ist es, die neuen Inhalte und die neue Sprache dem Rezipienten zu erklären. Dabei ist allerdings deren eigene Rezeptionstendenz im Spiel oder eher im Weg. Sie werden also, sowohl was die Inhalte, als auch was die Sprache anbelangt, ihre eigenen Vorstellungen mit ins Spiel bringen und damit auch die ursprüngliche Tendenz des Künstlers verändern. Weiter haben diese Mittler eine ungemeine Macht, da nur über sie die Verbreitung dieser Ideen möglich ist. Üben diese Zensur aus, werden diese Gedanken nicht verbreitet, bzw. nur mit einer wesentlich größeren zeitlichen Verschiebung als "normal" wäre. (Einsichten in neue Zusammenhänge geschehen ja nicht nur über die Künstler, sondern eben auch über die nackten Tatsachen, die auch von anderen Menschen, sind diese Tatsachen erst einmal so deutlich geworden, dargestellt werden können. So z.B. Wirtschaft und Politik, aber auch Forschung und Lehre.)

Der normale Verlauf ist also dann der, dass durch die Mittler die neuen Inhalte und auch die neuen Sprachformen den anderen Menschen verständlich gemacht werden und damit in den Schatz der Kultur, also der Sprachsymbolik Eingang finden. Dies geschieht bei den unterschiedlichen Rezipienten auch in unterschiedlicher Geschwindigkeit. Deren eigenes kulturelles Umfeld und deren eigene "Begabung" sich Neuem aufzuschließen, sind Faktoren, die die Rezeption von Neuem erschweren bzw. erleichtern.

Ebenso gibt es auf der Seite der Produzenten (ich sage bewusst hier nicht "Künstler"), Leute, die in der Lage sind, relativ zu dem, was in einer bestimmten Zeit aktuell ist, im Sinne der affirmativen Sprachsymbolik, darüber hinauszugehen und Dinge zu produzieren, die es zwar schon gegeben hat, aber die noch nicht allgemeines künstlerisches und kulturelles Gut sind. Für den Rezipienten ist dies dann möglicherweise eine "Modifikation", die er schon akzeptieren kann, da sie nicht so "gesponnen" ist, wie das was die Leute tun, die man tatsächlich als Künstler bezeichnen könnte. Somit helfen auch diese Produzenten dazu bei, die Sprache fortzuentwickeln. Diese werden dies allerdings (eben da sie keine Künstler sind) nur im Sinn eines bereits bestehenden affirmativen Diskurses von Seiten der Mittler tun, sodass auch von diesen her (bis vielleicht auf Ausnahmefälle) keine Innovationsschübe zu erwarten sind.

Dann gibt es möglicherweise noch die Verwirrer: Das sind solche Produzenten, die so tun, als hätten sie neue Inhalte und neue Sprachen gefunden, dies allerdings nur rein formal tun, da sie lediglich mit neuen oder ungewohnten Sprachformen Rätsel aufbauen, die Zusammenhänge vortäuschen, da wo keine Zusammenhänge mit erfahrbaren Inhalten vorhanden sind.

Genug Möglichkeiten, vom tatsächlichen Geschehen des amorph-situativen Kontinuums abzulenken.

Beispiel:

Der Betrachter im Jahre sagen wir 1950 hat das Vokabular und das Kulturverständnis, um die Tatbestände, die 1850 sich der Menschheit neu dargestellt haben nun auch zu erfassen und sich damit zu identifizieren. Er lebt also von seinem artikulierbaren Weltverständnis her 100 Jahre verspätet. Andere Wahrnehmungsebenen allerdings können ihm sicherlich auch den Zugang zur aktuellen Situation vermitteln, dies jedoch nur in dem Maße, wie er sich auch darauf einlassen kann. Er kann also schon eine "Ahnung davon haben, dass da 'was' ist". Diesem wird er, als einem unidentifizierbaren Neuem mit den Filtern begegnen, die er von seiner tiefensymbolischen Struktur her mitbringt: Neugierde oder Abwehr. Solange seine eigene Existenz durch Veränderungen des situativ-amorphen Kontinuums nicht gefährdet ist wird er diese Verschiebungen nicht registrieren, bzw. sich dem Sprachduktus der Restauratoren anpassen, und diesen übernehmen.

Er wird also Bilder, die 1850 gemalt sind, als die einzige Kunst (weil affirmativ) betrachten. Neue Bilder, sagen wir von 1865 wird er schon mit einer bestimmten Skepsis aber noch Neugierig anschauen können, danach, so wird er jammern, habe das aufgehört mit der Kunst. Und was die heute machen ist ja nur Geschmiere...

Ein Maler, der heute so malen würde wie es um 1865 "neu" war, wird bei ihm auf volles Verständnis stoßen und er wird sich sogar ein Bild von ihm kaufen.

Ein Mittler, der sagen wir geistig etwa 1920 steht, wird dieses Bild als völlig veraltet abtun, allerdings wird er auch bestätigen, dass die heutige Kunst ja nun nicht mehr das sei, was man sich von Kunst vorzustellen habe. Er wird dies mit dem Vokabular belegen, das er selbst mit seinen Kompagnons entwickelt hat, um das Kunstgeschehen dem Betrachter verständlich zu machen.

Ist nun ein Mittler tatsächlich in der Lage, die aktuelle Kunst zu erfassen, wird er dies auch vermitteln wollen. Dabei ist er selbst auf eine Sprache angewiesen, die noch keine Vokabeln besitzt, um das Neue darzustellen. Auch er muss sich also um eine neue Ausdrucksform bemühen. Diese neue Ausdrucksform wird selbst wieder nur von einigen wenigen Rezipienten verstanden, da nur diese wieder in der Lage sind, der neuen Versprachlichung zu folgen. Die anderen werden diesem Versuch "Elitarismus" vorwerfen.