Die abstrakte Darstellungstendenz
 

Piet Mondrian

New York City II, 1942-44, 

Öl auf Papier auf Lw, 119x115 cm, Kunstsammlung NRW, Postkarte

 

Die abstrakte Darstellungstendenz wird im abstrakten Zeichenaspekt konkret. Die existentiellen Konstanten, die sich überhaupt im Medium 'Bild' ausdrücken lassen, finden in den bildnerischen Variablen ihren konkreten bildsprachlichen Ausdruck. Diese schließen über die Variablen 'Trägermaterial', 'Technik' und 'Dimension' die Eigengesetzlichkeiten des Materials mit ein. Über die Variablen 'Faktur' und 'Verwirklichung' schließen sie den Produzenten und über die Variablen Form, Dichte, Kontraste, Lage/Komposition, den 'Ausdruck' mit ein.

Dieser Zeichenaspekt wird häufig so wahrgenommen, als ginge es dabei lediglich um bildnerisch-formale Probleme. Eine Begründung dafür kann man darin finden, dass die zugrundeliegenden Abstrakta der menschlichen Existenz, also die 'existentiellen Konstanten' so selbstverständlich sind, dass sie "nicht der Rede wert" zu sein scheinen. Und im Laufe unserer christlich-abendländischen Kulturgeschichte wurde das Verständnis unserer ureigensten existentiellen Fragen immer mehr zum abgehobenen Thema der Theologie, der Philosophie und anderer Spezialwissenschaften, so dass der 'normale Mensch' davon nichts mehr verstand, und es ihm nur noch als eben 'abstrakt' und damit als unverständlich vorkam. Nur noch mit Mühe konnte man sich mit dem nun neu erfundenen 'abstrakten Denken' befreunden, und das einzige, was von der ursprünglichen abstrakten Wahrnehmung von Wirklichkeit übrig bleibt, ist das ureigenste Empfinden des „Stimmigen".

Zurück zum Produzenten eines Bildes. Dieser wird seine Aussage im Rahmen der bisher dargelegten Zeichenaspekte materialisieren und dabei den einen oder den anderen Aspekt stärker betonen. Und er wird auf keinen ZA völlig verzichten können. Jedes Bild hat immer Anteile aller Zeichenaspekte. Und diese werden konkretisiert in den bildnerischen Variablen, die sozusagen die 'existentiellen Konstanten' des Bildes sind. Abstrakt stellen sich diese dar als das, was konstituierend für ein Bild ist, und konkret erscheinen sie in der jeweiligen Formulierung, die der Autor ihnen gibt. Der Autor gibt dem zur Verfügung stehenden Material, also in der Regel Trägermaterial und Farbe, eine bestimmte Form, die sich nun an ganz bestimmten Stellen der Bildfläche befinden. Der abstrakte Zeichenaspekt wird sichtbar in der jeweiligen Konkretion der bildnerischen Variablen, sei es als Linie, als Kontrast, als Farbe etc. Dies ist die Syntax des Bildes. Alle Zeichenaspekte konkretisieren sich in letzter Linie in dem, was syntaktisch auf dem Bild angehäuft wurde.

Der Rezipient wird sieht erst einmal auch nichts anderes, als was materialiter auf dem Bild 'drauf' ist, er sieht also keinen 'Sonnenuntergang', sondern er sieht verschiedene Pigmente an unterschiedlichen Orten. Da er aber dann doch das "Motiv" erkennen will und nicht die sagen wir mal grüne Senkrechte gegenüber einem glänzenden roten Pigmenthaufen, wird er das Abstrakte als selbstverständlich abtun. (Wegen der Orientierung, die im Zusammenhang der symbolischen Bedeutungen der entsprechenden ZA's gesucht wird.)

Dem Abstrakten, dem „Selbstverständlichen" wird er kaum Beachtung schenken, da es sowieso ständig bei seiner Wahrnehmung mitschwingt, und wird dem Besonderen, also dem „Bedeutungsvollen" des Bildes seine volle Aufmerksamkeit widmen. Der abstrakte ZA, so wichtig er in Wirklichkeit ist, führt somit ein kummervolles Dasein. Zur "formalen" Angelegenheit degradiert, allenfalls "interessant" oder "kompositorisch gekonnt", wird er kaum jemals als das wahrgenommen, was er ist, nämlich die Repräsentation der existentiellen Konstanten menschlicher Seinsweise.

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