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Sehr geehrte Gäste, liebe Freunde, liebe
Kolleginnen und Kollegen,
Ich möchte zu dieser Ausstellung dennoch
ein paar Worte sagen, auch wenn es mir kaum möglich sein wird, in
angemessener Weise über die Fülle der Arbeit derer zu sprechen, deren
Werke Sie hier sehen.
Um dieser Ausstellung gerecht zu werden, müsste
ich über vielfältigste Themen referieren. Sechs wesentliche
Themenkomplexe müssen hier mindestens in den Blick gerückt werden:
1. Die Geschichte dieser Ausstellung,
Alles begann damit, dass ich meinen
Einkaufszettel verloren hatte. Vielleicht hatte ich ihn auch zu Hause
vergessen, jedenfalls war er lang und es stand Wichtiges darauf. Und
er war weg. Wie besoffen stand ich so im Riesensupermarkt, eingeklemmt
zwischen Regalen, deren Inhalt mir förmlich in den leeren
Einkaufswagen rollte. Alles, was ich da sah, schien mir unabänderlich
auf dem Zettel gestanden zu haben, alles schien mir verlockend,
nützlich und kaufwürdig. Außerdem war Samstag, ich musste
einkaufen, sollten wir nicht über das Wochenende schlichtweg darben;
und nicht nur das, die Kinder würden nach Pudding schreien - oder war
es Haribo? - der Hund müsste sein Futter wieder auf dem Ziegenmarkt
zusammensuchen, Zähne könnten nicht geputzt werden, und zu all dem
könnte man nicht einmal diesen Schicksalsschlag herunterspülen, weil
der gute Schluck dazu fehlen würde. Heimkommen ohne eingekauft zu
haben, wäre unmöglich!
Doch dann: in meinem leeren
Einkaufswagen lag ein kleines Papierchen, in meiner Pein nahm ich es,
faltete es auseinander, - irgendwie hatte ich etwas Voyeuristisches
dabei empfunden, und hatte vor mir eine wunderbare Reihe der
auserwähltesten Dinge des alltäglichen Bedarfs, ich brauchte nur
noch zuzulangen. Machte nichts, dass dies nicht die Dinge waren, die
wir uns vorher ausgedacht hatten, Es war wie Urlaub machen, war, wie
in die Kochtöpfe einer fremden Kultur hineinschauen, schnuppern und
sich einfach auf das Erlebnis einer ganz anderen Menagerie
einzulassen.
Ich kaufte also Wein, Sherry, Binden,
Joghurts, 1 Quark, 1 Schmand, 1 Crème fräsch, 1 Schlagsahne, 3
Milch, Käse, Cabanossi, 600 g getrocknete Früchte, Rösti gefroren, Kelloggs,
400g Schokolade, Löffelbiskuits oder Kuchen, Brot.
Eigentlich ganz einfach, aber doch auch
kompliziert: Weiß- oder Rotwein?, trockenen Sherry? Was für
"Binden"? sollte ich nochmals nach Hause telephonieren? Die
Milchabteilung war klar bis auf den Käse - keine bevorzugte Sorte,
keine Mengenangaben - auch nicht bei den Cabanossi, bei den
getrockneten Früchten fehlte wieder die Sorte, "Kelloggs"?
die Corn Flakes oder die Smacks - "Schokolade" - mit oder
ohne Nüsse? am aufregendsten fand ich war die Angabe
"Löffelbiskuits oder Kuchen" Da wurde mir eine richtige
Entscheidung abverlangt. Brot war wieder klar, für mich war es ein
schöner doppeltgebackener Krustenlaib. duftend.
Die Rösti werden bis nach Hause
auftauen, dann gibt es die am besten heute mit der Crème fräsch
zusammen, die getrockneten Früchte kann man bis morgen einlegen, dann
mit Quark, könnte gut schmecken, vielleicht einen Schuss Sherry dazu,
Cabanossi bekommt der Hund, Die Kinder essen die Schokolade, und die Kelloggs,
Wir die Löffelbiskuits mit Schlagsahne - wunderbar, dazu Milch. Zum
Frühstück Brot mit ordentlich Käse - leider ohne Butter, dafür
Joghurt, abends zum Schlafengehen den Wein. Ich sage: Wie im Urlaub.
Sie können nun verstehen, wie mich
diese Idee gepackt hat. Auch kommunikationstheoretisch war dies
hochinteressant: Sich Hineindenken in die innersten Angelegenheiten
einer wildfremden Person. Ich nenne dies die
"Individualsymbolik" - und man kommt ihr nur näher, wenn
man die immer bestehenden Informationslücken mit eigenen
Vorstellungen ergänzt. Es ist wie im normalen Kommunikationsprozess:
Auch Sie werden jetzt ganz unterschiedlich, wie sie gerade zu
diesen Sätzen, die ich sage stehen, dies oder jenes sich dazu denken,
im einen Fall werden Sie also sagen, welch ein Quatsch, den Zettel
wegschmeißen, im anderen Fall sagen sie sich, neugierig auf ein
Experiment, vielleicht wird ja ein interessanter Abend daraus, man
assoziiert dazu, denkt sich hinein, geht beim Herumlaufen ein bisschen
darin auf, nimmt davon etwas nach Hause und kocht sich seine eigene
Suppe davon.
2. Die Künstler.
Eine erstaunliche Zahl von Kollegen hat
sich für dieses Projekt interessieren lassen. Ich habe die Künstler
dazu eingeladen, die bisher in irgendeiner Form sich in diesem Atelier
präsentiert haben. Und sie wissen ja, dass wir hier seit vielen
Jahren Ausstellungen und andere kulturelle Veranstaltungen
durchführen, ganz zu schweigen von dem täglich laufenden
Kursangebot, zu dem die VHS namhafte brotlose Bremer Künstler als
Dozenten werben konnte.
Achtzehn Künstler sind hier versammelt, der
Bildhauer Frank Bohlmann; aus Rotterdam der Maler und Grafiker Angelo
Evelyn; die Bremer Schwäbin Marlis Glaser; aus Schwäbisch
Hall der Maler Dieter Häussler; die Kunsttherapeutin und
VHS-Dozentin Ute Knoop; der Kunsterzieher aus Butjadingen
Hermann Komar; der Bremer Maler Rainer Kosubek, und aus dem
gleichen Atelier noch Eckardt Kreye; der Bildhauer und Maler
Heinz Lackner; die Grafikerin und Malerin Angela Meindl;
die Malerin Karin Puck; der Grafiker und Zeichner Dieter
Rogge; die wissenschaftliche Zeichnerin und Biologin Sonja
Schadwinkel; der Altdadaist Wolfgang Schlott; die Malerin Rita
Segelke; die Malerin und seit neuestem auch Designerin Anna
Solecka und die Modedesignerin Ute
Spingler.
Aber wenn Sie sich die Aktualität
dieses Themas vor Augen führen, so ist es kein Wunder, dass eine so
große Zahl von Künstlern auf diese Anregung eingegangen ist. So ein
Einkaufszettel ist quasi das Symbol der Rohform jeglicher
künstlerischer Tätigkeit: dem ureigensten Bedürfnis folgend,
skizzenhaft festhalten; das dem Tag Angemessene tun, die Vorstellung
in die Tat umsetzen, Planen und Realisieren, Einkaufen und Zubereiten,
Materialien Sammeln und diese am richtigen Ort in richtiger Syntax
wieder äußern. Und nur der Künstler muss verantworten, was er da
tut, muss dies auch seinem eigenen Vermögen entsprechend in der
Qualität einschätzen, darf sich dabei nicht übernehmen, - was ist
blöder als an der Kasse zu stehen und nicht genügend Geld dabei zu
haben - und muss vor allem auch an die Umsetzbarkeit dessen denken,
was er da in planerischer Weise für die Mitmenschen, für die
Nachwelt ordnend zusammenfügt.
Es gibt die Einkaufswagenchaoten, es
gibt die ganz Strengen, die ihre Wägen sehr systematisch füllen, es
gibt das Problem des Hin- und Herwälzens, aus dem Korb auf das
Laufband an der Kasse, wieder in den Korb, dann in die Tüten, dann
nach Hause, in die Schränke u.s.w. ein ständiges Umschichten und
Umorganisieren, und nie den Blick dafür verlieren, wozu das ganze
dienen soll: dem Atmen, dem Schwitzen, dem Verdauen, dem Austauschen,
dem Mitteilen, dem lustvoll Genießen oder auch dem hungernden
Schaffen. Und da sind wir auch schon bei Punkt Drei!
3. Handelt über die Einkaufszettel,
über die Reste alltäglicher Verrichtungen, über die Mängel und
Zukunftserwartungen im alltäglich Leben, über die Bedürfnisse im
Allgemeinen.
Dazu ein paar Beispiele: Fangen wir an
mit Honig, Brot, Penatencreme. Wahrscheinlich ist da ein Kind
zu Hause, Wir sehen vor unserem inneren Auge, wie gut das Honigbrot
dem Kleinen schmeckt.
Schwieriger wird es schon bei Milch,
Sahne, Joghurt, 1 Glas saure Gurken. müsste man einmal
ausprobieren. vielleicht so etwas ähnliches wie Tsatsiki...
Oder das Frühstück zu Zweit: 2
Laugenbrötchen, 1 Zimt, 3 Croissant, 2 Krosse, 2 Mohnhörnchen
und ?? - es ist ein reichliches Frühstück, und die
Fragezeichen geben ihm die richtige Würze.
Hier haben wir den Chaoten: Milch,
Ketchup, Duschdas, Pril, Shampoo/Haarfestiger, Pizza, Sekt.
Müssen wir kommentarlos so hinnehmen, Gottseidank lag damals nicht
dieser Einkaufszettel in meinem Wagen.
Und ganz hart wird es bei diesem: 2
Fl. Wodka, 2x Marlboro light, 1x Orangensaft. Auch ein Frühstück
zu Zweit, wenn auch ganz anderer Art.
Wie oft stehen wir an den Kassen herum,
fahren mit den Einkaufswagen zwischen den Regalen hindurch, greifen
schon auch mal nach einem falschen Einkaufswagen, suchen minutenlang
nach unserem, den wir irgendwo haben stehen lassen, Aber seien Sie
mutig! nehmen Sie einmal einfach einen fremden Einkaufswagen, egal was
drin ist, bezahlen Sie, gehen sie damit nach Hause und vertiefen Sie
sich in die Welt eines anderen. Kein Mensch macht sich normalerweise
darüber Gedanken, was jemand anderes einkauft, und warum
jemand etwas kauft, und doch steckt eine ganze Menge an kleinen
tatsächlichen Lebensproblemen, und -situationen in diesen Einkäufen
verborgen. Es ist wie mit der Kunst. Auch hier greifen Sie zu, nach
einer Laune ihrer Aufmerksamkeit. Erst zu Hause merken Sie, auf was
sie sich da eingelassen haben. Das Gedankengut eines wildfremden
Menschen hängt nun gerahmt an der Wand. Tagelang sinnen Sie darüber,
diskutieren Sie mit Freunden über das Geheimnis einer fremden
Wahrnehmung.
In so einem kleinen Einkaufszettel -
steckt eine ganze Welt. Wenn Sie den Mut nicht haben, einfach einen
anderen Einkaufswagen zu "kidnappen", so können Sie hier
und jetzt diese wunderbaren grafischen Blätter erwerben, Ich zeige
Ihnen eines als Beispiel, wie dekorativ, wie hintersinnig sich so ein
Blatt im Wohnzimmer - vielleicht auch über dem Esstisch - ausmachen
würde. Wir bieten Ihnen so ein Blatt nachher (ungerahmt und
ungesüßt) für 5.-- DM an.
4. Die politische Dimension - "Der
Warenkorb".
Wir müssen hier natürlich noch einen
Blick werfen auf die Sozialpolitik. Der sogenannte Warenkorb ist ja
auch ein Politikum erster Ordnung. Was dürfen wir, was dürfen wir
nicht - Wie teuer darf es sein, wann sind wir Verschwender, wann sind
wir unter der Armutsgrenze. Bange Schicksalsfragen werden hier
entschieden - und wir ahnen: der "Warenkorb" ist zur
Metapher verkommen, eine schlechte Metapher für Lebensqualität.
Aber darum haben wir sie ja, -
5. die Kunst.
Die Kunst spürt auf, weist auf die
unentdeckten Bereiche des Alltäglichen, rückt ins Licht, - und noch
einmal erweist sich hier die grandiose Parallelität zwischen dem
Blättchen Papier eines Einkaufszettels und dem großen Entwurf eines
großen Malers, welchen auch immer - Stellen Sie sich vor: ein
Stilleben, ein liebevoll arrangiertes Kompositiönchen: ein
glänzender Becher, die gelbe Zitrone, der Teller mit dem Fisch,
dahinter die Vase mit dem vertrockneten Blumenstrauß, auf dem mit
Verve gefalteten Tischtuch. Und dann - wo steht dieser
Einkaufszettel - welcher auch immer - in seiner abstrakten Qualität
der imaginären Syntax dem Meisterwerk nach? Aber und aberviele
Kompositionen sind darin versteckt, und geknüpft an die reale
Wirklichkeit. Nicht nur einem ästhetischen Schein sich verpflichtend,
sondern der harten oder auch luxuriösen Lebenswirklichkeit.
Wir bearbeiten hier große Themen der
Kunst: Feldforschung, Spurensuche, individuelle Mythologien werden
hier vor uns ausgebreitet.
Sich dem zu öffnen, dazu laden wir
Sie, liebe Gäste ein.
6. über die Käuflichkeit,
Allerdings gibt es noch ein
wesentliches Thema: Kunst als Ware. Auch wir Künstler müssen
einkaufen, müssen unsere eigenen Einkaufszettel mehr oder weniger gut
gefüllt ins Geschäft mitnehmen. Und was nützt uns der schönste
Einkaufszettel, wenn man das Geld nicht hat zum bezahlen? Und hier
können Sie, hochverehrtes Publikum ihren Teil zum Gelingen dieser
Veranstaltung beitragen: Kaufen Sie soviel sie können, greifen Sie
zu, gönnen Sie sich mal etwas. Sie haben es verdient. Sie sind die
Kunstkonsumenten wie man so schön sagt, Wir sind die Produzenten.
Aber ich zeige Ihnen wie man das macht,
wie man Kunst konsumiert:
Ich kaufe z.B. .....
Und damit erhebe ich mein Glas zum
Muttertag und erkläre diese Ausstellung für eröffnet.
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