Eröffnungsrede zur Ausstellung "der Warenkorb", in der vhs GALERIE am schwarzen meer, am 12. Mai 1996  
   

Sehr geehrte Gäste, liebe Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Ich möchte zu dieser Ausstellung dennoch ein paar Worte sagen, auch wenn es mir kaum möglich sein wird, in angemessener Weise über die Fülle der Arbeit derer zu sprechen, deren Werke Sie hier sehen.

Um dieser Ausstellung gerecht zu werden, müsste ich über vielfältigste Themen referieren. Sechs wesentliche Themenkomplexe müssen hier mindestens in den Blick gerückt werden:

1. Die Geschichte dieser Ausstellung,

Alles begann damit, dass ich meinen Einkaufszettel verloren hatte. Vielleicht hatte ich ihn auch zu Hause vergessen, jedenfalls war er lang und es stand Wichtiges darauf. Und er war weg. Wie besoffen stand ich so im Riesensupermarkt, eingeklemmt zwischen Regalen, deren Inhalt mir förmlich in den leeren Einkaufswagen rollte. Alles, was ich da sah, schien mir unabänderlich auf dem Zettel gestanden zu haben, alles schien mir verlockend, nützlich und kaufwürdig. Außerdem war Samstag, ich musste einkaufen, sollten wir nicht über das Wochenende schlichtweg darben; und nicht nur das, die Kinder würden nach Pudding schreien - oder war es Haribo? - der Hund müsste sein Futter wieder auf dem Ziegenmarkt zusammensuchen, Zähne könnten nicht geputzt werden, und zu all dem könnte man nicht einmal diesen Schicksalsschlag herunterspülen, weil der gute Schluck dazu fehlen würde. Heimkommen ohne eingekauft zu haben, wäre unmöglich!

Doch dann: in meinem leeren Einkaufswagen lag ein kleines Papierchen, in meiner Pein nahm ich es, faltete es auseinander, - irgendwie hatte ich etwas Voyeuristisches dabei empfunden, und hatte vor mir eine wunderbare Reihe der auserwähltesten Dinge des alltäglichen Bedarfs, ich brauchte nur noch zuzulangen. Machte nichts, dass dies nicht die Dinge waren, die wir uns vorher ausgedacht hatten, Es war wie Urlaub machen, war, wie in die Kochtöpfe einer fremden Kultur hineinschauen, schnuppern und sich einfach auf das Erlebnis einer ganz anderen Menagerie einzulassen.

Ich kaufte also Wein, Sherry, Binden, Joghurts, 1 Quark, 1 Schmand, 1 Crème fräsch, 1 Schlagsahne, 3 Milch, Käse, Cabanossi, 600 g getrocknete Früchte, Rösti gefroren, Kelloggs, 400g Schokolade, Löffelbiskuits oder Kuchen, Brot.

Eigentlich ganz einfach, aber doch auch kompliziert: Weiß- oder Rotwein?, trockenen Sherry? Was für "Binden"? sollte ich nochmals nach Hause telephonieren? Die Milchabteilung war klar bis auf den Käse - keine bevorzugte Sorte, keine Mengenangaben - auch nicht bei den Cabanossi, bei den getrockneten Früchten fehlte wieder die Sorte, "Kelloggs"? die Corn Flakes oder die Smacks - "Schokolade" - mit oder ohne Nüsse? am aufregendsten fand ich war die Angabe "Löffelbiskuits oder Kuchen" Da wurde mir eine richtige Entscheidung abverlangt. Brot war wieder klar, für mich war es ein schöner doppeltgebackener Krustenlaib. duftend.

Die Rösti werden bis nach Hause auftauen, dann gibt es die am besten heute mit der Crème fräsch zusammen, die getrockneten Früchte kann man bis morgen einlegen, dann mit Quark, könnte gut schmecken, vielleicht einen Schuss Sherry dazu, Cabanossi bekommt der Hund, Die Kinder essen die Schokolade, und die Kelloggs, Wir die Löffelbiskuits mit Schlagsahne - wunderbar, dazu Milch. Zum Frühstück Brot mit ordentlich Käse - leider ohne Butter, dafür Joghurt, abends zum Schlafengehen den Wein. Ich sage: Wie im Urlaub.

Sie können nun verstehen, wie mich diese Idee gepackt hat. Auch kommunikationstheoretisch war dies hochinteressant: Sich Hineindenken in die innersten Angelegenheiten einer wildfremden Person. Ich nenne dies die "Individualsymbolik" - und man kommt ihr nur näher, wenn man die immer bestehenden Informationslücken mit eigenen Vorstellungen ergänzt. Es ist wie im normalen Kommunikationsprozess: Auch Sie werden jetzt ganz unterschiedlich, wie sie gerade zu diesen Sätzen, die ich sage stehen, dies oder jenes sich dazu denken, im einen Fall werden Sie also sagen, welch ein Quatsch, den Zettel wegschmeißen, im anderen Fall sagen sie sich, neugierig auf ein Experiment, vielleicht wird ja ein interessanter Abend daraus, man assoziiert dazu, denkt sich hinein, geht beim Herumlaufen ein bisschen darin auf, nimmt davon etwas nach Hause und kocht sich seine eigene Suppe davon.

2. Die Künstler.

Eine erstaunliche Zahl von Kollegen hat sich für dieses Projekt interessieren lassen. Ich habe die Künstler dazu eingeladen, die bisher in irgendeiner Form sich in diesem Atelier präsentiert haben. Und sie wissen ja, dass wir hier seit vielen Jahren Ausstellungen und andere kulturelle Veranstaltungen durchführen, ganz zu schweigen von dem täglich laufenden Kursangebot, zu dem die VHS namhafte brotlose Bremer Künstler als Dozenten werben konnte.

Achtzehn Künstler sind hier versammelt, der Bildhauer Frank Bohlmann; aus Rotterdam der Maler und Grafiker Angelo Evelyn; die Bremer Schwäbin Marlis Glaser; aus Schwäbisch Hall der Maler Dieter Häussler; die Kunsttherapeutin und VHS-Dozentin Ute Knoop; der Kunsterzieher aus Butjadingen Hermann Komar; der Bremer Maler Rainer Kosubek, und aus dem gleichen Atelier noch Eckardt Kreye; der Bildhauer und Maler Heinz Lackner; die Grafikerin und Malerin Angela Meindl; die Malerin Karin Puck; der Grafiker und Zeichner Dieter Rogge; die wissenschaftliche Zeichnerin und Biologin Sonja Schadwinkel; der Altdadaist Wolfgang Schlott; die Malerin Rita Segelke; die Malerin und seit neuestem auch Designerin Anna Solecka und die Modedesignerin Ute Spingler.

Aber wenn Sie sich die Aktualität dieses Themas vor Augen führen, so ist es kein Wunder, dass eine so große Zahl von Künstlern auf diese Anregung eingegangen ist. So ein Einkaufszettel ist quasi das Symbol der Rohform jeglicher künstlerischer Tätigkeit: dem ureigensten Bedürfnis folgend, skizzenhaft festhalten; das dem Tag Angemessene tun, die Vorstellung in die Tat umsetzen, Planen und Realisieren, Einkaufen und Zubereiten, Materialien Sammeln und diese am richtigen Ort in richtiger Syntax wieder äußern. Und nur der Künstler muss verantworten, was er da tut, muss dies auch seinem eigenen Vermögen entsprechend in der Qualität einschätzen, darf sich dabei nicht übernehmen, - was ist blöder als an der Kasse zu stehen und nicht genügend Geld dabei zu haben - und muss vor allem auch an die Umsetzbarkeit dessen denken, was er da in planerischer Weise für die Mitmenschen, für die Nachwelt ordnend zusammenfügt.

Es gibt die Einkaufswagenchaoten, es gibt die ganz Strengen, die ihre Wägen sehr systematisch füllen, es gibt das Problem des Hin- und Herwälzens, aus dem Korb auf das Laufband an der Kasse, wieder in den Korb, dann in die Tüten, dann nach Hause, in die Schränke u.s.w. ein ständiges Umschichten und Umorganisieren, und nie den Blick dafür verlieren, wozu das ganze dienen soll: dem Atmen, dem Schwitzen, dem Verdauen, dem Austauschen, dem Mitteilen, dem lustvoll Genießen oder auch dem hungernden Schaffen. Und da sind wir auch schon bei Punkt Drei!

3. Handelt über die Einkaufszettel, über die Reste alltäglicher Verrichtungen, über die Mängel und Zukunftserwartungen im alltäglich Leben, über die Bedürfnisse im Allgemeinen.

Dazu ein paar Beispiele: Fangen wir an mit Honig, Brot, Penatencreme. Wahrscheinlich ist da ein Kind zu Hause, Wir sehen vor unserem inneren Auge, wie gut das Honigbrot dem Kleinen schmeckt.

Schwieriger wird es schon bei Milch, Sahne, Joghurt, 1 Glas saure Gurken. müsste man einmal ausprobieren. vielleicht so etwas ähnliches wie Tsatsiki...

Oder das Frühstück zu Zweit: 2 Laugenbrötchen, 1 Zimt, 3 Croissant, 2 Krosse, 2 Mohnhörnchen und ?? - es ist ein reichliches Frühstück, und die Fragezeichen geben ihm die richtige Würze.

Hier haben wir den Chaoten: Milch, Ketchup, Duschdas, Pril, Shampoo/Haarfestiger, Pizza, Sekt. Müssen wir kommentarlos so hinnehmen, Gottseidank lag damals nicht dieser Einkaufszettel in meinem Wagen.

Und ganz hart wird es bei diesem: 2 Fl. Wodka, 2x Marlboro light, 1x Orangensaft. Auch ein Frühstück zu Zweit, wenn auch ganz anderer Art.

Wie oft stehen wir an den Kassen herum, fahren mit den Einkaufswagen zwischen den Regalen hindurch, greifen schon auch mal nach einem falschen Einkaufswagen, suchen minutenlang nach unserem, den wir irgendwo haben stehen lassen, Aber seien Sie mutig! nehmen Sie einmal einfach einen fremden Einkaufswagen, egal was drin ist, bezahlen Sie, gehen sie damit nach Hause und vertiefen Sie sich in die Welt eines anderen. Kein Mensch macht sich normalerweise darüber Gedanken, was jemand anderes einkauft, und warum jemand etwas kauft, und doch steckt eine ganze Menge an kleinen tatsächlichen Lebensproblemen, und -situationen in diesen Einkäufen verborgen. Es ist wie mit der Kunst. Auch hier greifen Sie zu, nach einer Laune ihrer Aufmerksamkeit. Erst zu Hause merken Sie, auf was sie sich da eingelassen haben. Das Gedankengut eines wildfremden Menschen hängt nun gerahmt an der Wand. Tagelang sinnen Sie darüber, diskutieren Sie mit Freunden über das Geheimnis einer fremden Wahrnehmung.

In so einem kleinen Einkaufszettel - steckt eine ganze Welt. Wenn Sie den Mut nicht haben, einfach einen anderen Einkaufswagen zu "kidnappen", so können Sie hier und jetzt diese wunderbaren grafischen Blätter erwerben, Ich zeige Ihnen eines als Beispiel, wie dekorativ, wie hintersinnig sich so ein Blatt im Wohnzimmer - vielleicht auch über dem Esstisch - ausmachen würde. Wir bieten Ihnen so ein Blatt nachher (ungerahmt und ungesüßt) für 5.-- DM an.

4. Die politische Dimension - "Der Warenkorb".

Wir müssen hier natürlich noch einen Blick werfen auf die Sozialpolitik. Der sogenannte Warenkorb ist ja auch ein Politikum erster Ordnung. Was dürfen wir, was dürfen wir nicht - Wie teuer darf es sein, wann sind wir Verschwender, wann sind wir unter der Armutsgrenze. Bange Schicksalsfragen werden hier entschieden - und wir ahnen: der "Warenkorb" ist zur Metapher verkommen, eine schlechte Metapher für Lebensqualität.

Aber darum haben wir sie ja, -

5. die Kunst.

Die Kunst spürt auf, weist auf die unentdeckten Bereiche des Alltäglichen, rückt ins Licht, - und noch einmal erweist sich hier die grandiose Parallelität zwischen dem Blättchen Papier eines Einkaufszettels und dem großen Entwurf eines großen Malers, welchen auch immer - Stellen Sie sich vor: ein Stilleben, ein liebevoll arrangiertes Kompositiönchen: ein glänzender Becher, die gelbe Zitrone, der Teller mit dem Fisch, dahinter die Vase mit dem vertrockneten Blumenstrauß, auf dem mit Verve gefalteten Tischtuch. Und dann - wo steht dieser Einkaufszettel - welcher auch immer - in seiner abstrakten Qualität der imaginären Syntax dem Meisterwerk nach? Aber und aberviele Kompositionen sind darin versteckt, und geknüpft an die reale Wirklichkeit. Nicht nur einem ästhetischen Schein sich verpflichtend, sondern der harten oder auch luxuriösen Lebenswirklichkeit.

Wir bearbeiten hier große Themen der Kunst: Feldforschung, Spurensuche, individuelle Mythologien werden hier vor uns ausgebreitet.

Sich dem zu öffnen, dazu laden wir Sie, liebe Gäste ein.

6. über die Käuflichkeit,

Allerdings gibt es noch ein wesentliches Thema: Kunst als Ware. Auch wir Künstler müssen einkaufen, müssen unsere eigenen Einkaufszettel mehr oder weniger gut gefüllt ins Geschäft mitnehmen. Und was nützt uns der schönste Einkaufszettel, wenn man das Geld nicht hat zum bezahlen? Und hier können Sie, hochverehrtes Publikum ihren Teil zum Gelingen dieser Veranstaltung beitragen: Kaufen Sie soviel sie können, greifen Sie zu, gönnen Sie sich mal etwas. Sie haben es verdient. Sie sind die Kunstkonsumenten wie man so schön sagt, Wir sind die Produzenten.

Aber ich zeige Ihnen wie man das macht, wie man Kunst konsumiert:

Ich kaufe z.B. .....

 

Und damit erhebe ich mein Glas zum Muttertag und erkläre diese Ausstellung für eröffnet.

 

 
  zurück